Quergeschrieben: Noch ist Gusi nicht verloren . . .

. . . denn mehr als die Affäre Bawag zählt die Sehnsucht des Wählers nach einer halbseiden-populistischen Wirtschaftspolitik.

D
ass Alfred Gusenbauer kaum noch Chancen hat, die Wahlen im Herbst zu gewinnen, steht für die meisten innenpolitischen Kommentatoren so gut wie fest. Der tollpatschige SP-Chef wird derzeit selbst von ihm politisch durchaus nahe stehenden Tageszeitungen und Magazinen weitgehend abgeschrieben.

Das spiegelt auf der einen Seite zwar die aktuellen Umfragen wider, in denen die Kanzlerpartei zur SPÖ aufgeschlossen (und diese sogar möglicherweise überholt) hat; andererseits wohl aber auch die nachvollziehbare Enttäuschung einiger Medienleute darüber, dass jener Kanzler, über den sie 2000 "Die Schande Europas" titelten, 2010 möglicherweise sein zehntes Jahr im Kanzleramt feiern wird, während sich kaum noch jemand daran erinnert, dass es einmal "Schande Europas"-Titelseiten, Donnerstagsdemos und ähnliche Albernheiten gegeben hat. Dass eben jene Medienleute nun den tollpatschigen Gusenbauer für diese ihre Enttäuschung verantwortlich machen und ihn dementsprechend publizistisch übel zurichten, ist nicht ganz unnachvollziehbar.

Trotzdem spricht in der Sache einiges dagegen, die SPÖ und Gusenbauer schon jetzt abzuschreiben. Denn dass die Bawag-Affäre der Sozialdemokratie ernsthaft und auf Dauer schadet, ist nicht zwingend. So wie jüngst auch die Hälfte der Italiener Berlusconi trotz seiner erwiesenen Inkompetenz gewählt haben, hat sich in der Vergangenheit ja auch ein ganz erheblicher Teil der österreichischen Wähler weder von den Milliardenverlusten der Sozialistischen Verstaatlichtenpolitik noch von den Milliardenverlusten des sozialistischen Konsum davon abhalten lassen, der SPÖ bei den darauf folgenden Wahlgängen wieder brav die Stimme zu schenken. - Dass es diesmal anders sein wird, ist eine Hoffnung der ÖVP, die daher zumindest historisch nicht fundiert ist.

Genauso schwer zu Gunsten der SPÖ und zu Lasten der Kanzlerpartei wiegt ein ganz anderes Phänomen, das bei nahezu allen Wahlgängen in der EU der letzten Monate zu verzeichnen war. Fast immer nämlich stärkten da die reformmüden, leicht zukunftsängstlichen und globalisierungsallergischen Elektorate jene Parteien und Politiker, die ihnen vorgaukelten, alles könne bleiben wie es ist, nichts müsse sich verändern - außer dass künftig natürlich "soziale Wärme" an die Stelle "neoliberaler Kälte" treten würde.

Es ist dies eine ziemlich ausgeprägte Grundbefindlichkeit auch des hiesigen Wählers, die Linkspopulisten politischen Aufwind verschafft. Zwar versucht auch Herr Strache ("Höhere Steuern ab 80.000 Euro") diese Stimmung auszunützen - aber in der Kunst des Linkspopulismus hat eben doch die SPÖ spätestens seit Kreiskys Schuldenexzessen und Vranitzkys berüchtigtem "Pensionistenbrief" die wesentlich höher entwickelte Kompetenz. Dass sie im Zweifelsfall eher zu einer halbseiden-populistischen Wirtschaftspolitik neigt, hat die Sozialdemokratie ausreichend bewiesen, von der Strache-FPÖ hingegen ist es bloß zu vermuten.

Alfred Gusenbauers Chancen sind intakter, als es derzeit scheinen mag - auch Berlusconi hätte es ja um ein Haar geschafft.

Christian Ortner ist Journalist in Wien.

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