Quergeschrieben: . . . und wenn der starke Arm nicht will?

Solange dem ÖGB nicht die Mitglieder schreiend davonlaufen, wird sich dort logischerweise nicht viel ändern.

W
enn nicht alles täuscht, so planen die Spitzen des ÖGB nun eine Re form, wie sie den etwas aufgeklärteren Kräften im Politbüro der SED im Sommer 1989 angesichts der sich anbahnenden Revolution in der DDR vorgeschwebt sein mag: da ein wenig politische Kosmetik, dort ein wenig aufgestauten Dampf ablassen, vielleicht noch ein bisserl Selbstkritik, und schon gibt das Volk wieder a Ruh'. Deshalb mutet ja auch der Übergang von Fritz Verzetnitsch zu Rudolf Hundstorfer ein wenig wie jener von Erich Honegger zu Egon Krenz an.

Weil aber bekanntlich nicht alles, was hinkt, ein Vergleich ist, stimmt das Bild nur teilweise. Denn zwar wird der ÖGB den Unmut seiner Mitglieder kaum damit besänftigen, dass Multifunktionäre künftig nicht mehr als knappe 11.000 Euro verdienen dürfen (gibt's eigentlich noch Sauerstoff auf dem Planeten ÖGB?) - aber ganz offensichtlich mangelt es den allermeisten ÖGB-Mitgliedern im Gegensatz zu den Ostdeutschen 1989 eklatant an der Lust zum Aufstand gegen das Regime. Denn erstaunlicherweise sind, wenn die offiziellen Angaben des ÖGB ausnahmsweise einmal stimmen sollten, seit Bekanntwerden des Kriminalfalles ÖGB/
Bawag nicht einmal 10.000 Mitglieder aus der Gewerkschaft ausgetreten.

Selbst wenn diese Bilanz nach Art des Hauses geschönt sein sollte: Auch wenn 50.000 den ÖGB verlassen hätten, wäre dies angesichts von insgesamt rund 1,3 Millionen Mitgliedern eher ein Vertrauensbeweis für die ÖGB-Chefs denn ein ernsthaftes Krisensymptom. Dass angesichts eines Schadens von fast 3000 Euro pro Mitglied, des Verschwindens der Mitgliedsbeiträge der letzten 16 Jahre und des ideellen Zwangsausgleiches der Gewerkschaftsbewegung trotzdem 98 Prozent der Mitglieder bleiben, deutet nicht gerade auf ein ausgeprägtes Bedürfnis der Gewerkschaftsbasis nach radikalen Veränderungen hin (noch dazu, wo ja die arbeitsrechtlichen Schutzfunktionen für ausgetretene ÖGB-Mitglieder ohnehin auch von der AK wahrgenommen werden).

Deshalb ist es nur auf den ersten Blick unverständlich, dass die Chefs der Gewerkschaften es vorziehen, Reformen zu simulieren, anstatt sie zu exekutieren. Denn sie wissen natürlich, dass eine neue Gewerkschaftsbewegung mit den karibikergrauten Funktionärsgesichtern des derzeitigen Regimes - also ihren eigenen - nicht zu machen sein wird. Und sie wissen in realistischer Einschätzung ihrer Ausbildung und ihrer beruflichen Qualifikation auch, dass sie ihre derzeitigen Einkommen außerhalb des ÖGB nicht einmal annähernd lukrieren können, weshalb jede ernsthafte Reform in diametralem Gegensatz zu ihrem persönlichen Interesse steht.

Die einzigen, die eine Änderung dieses Zustandes erzwingen können, sind deshalb die ÖGB-Mitglieder. Erst wenn die nicht in versprengten Grüppchen, sondern zu hunderttausenden das Weite suchen, wird die Organisation Gewerkschaft so reagieren, wie jede andere Organisation in akuter Lebensgefahr: indem sie im Zweifelsfall lieber ihre Führungsschicht opfert als die Existenz der ganzen Organisation. Solange die Gewerkschafter bloß murren, aber bleiben, wird der ÖGB im Großen und Ganzen bleiben, wie er ist.

Christian Ortner ist Journalist in Wien.

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