Kunstgeschichte: Zeichenlehrer, nichts lehren!

Maler Franz Cizek hat am Beginn des 20. Jahrhunderts in Wien die Anarchie in den Zeichen- unterricht eingeführt. Der Künstler Rolf Laven erforscht das.

Zeichenunterricht anno 1900: Kopieren von Bildern, Nachzeichnen von Ornamenten, Kolorieren von Vorlagen. Damit sollten Tugenden wie Ordnung, Nettigkeit und Sauberkeit gefördert werden. Unsinn, meinte der Maler Franz Cizek: „Kinder seien bis zur Pubertät nach innen sehend und nach außen blind“. Sie nach Vorlage malen zu lassen, führe zu nichts. ieks „heiligster Grundsatz: Nichts lehren, nichts lernen! Wachsen lassen aus eigener Wurzel!“ Seine Ideale setzte der Ringstraßenmaler erst im eigenen Atelier um: Kinder von Freunden/Nachbarn durften bei ihm werken, Materialien und Techniken ausprobieren. Sie waren nicht Schüler, sondern „Assistenten und Mitarbeiter“.

Rolf Laven, Bildhauer und Pädagoge, hat sich mit dem Künstler intensiv auseinander gesetzt: Er hat den Nachlass im Wien Museum gesichtet und eine Monografie verfasst. „iek ist nur in Österreich in Vergessenheit geraten, in den Niederlanden – wo ich zeitweise studiert habe – oder in den USA ist er bekannt. Ich habe mich mit ihm befasst, weil ich überzeugt bin, dass seine Ideen nach wie vor sehr aktuell sind.“

Ministerbesuch zur Schul-Eröffnung

1904 bekam Cizek eine Professur an der Angewandten (damals Kunstgewerbeschule) – er konnte seine private Mal- und Zeichenschule als „Jugendkunstklasse“ dort weiterführen. „Nachdem ich den Unterricht kaum eröffnet hatte, tat sich die Saaltür plötzlich auf und ohne jede Anmeldung trat Unterrichtsminister Ritter von Hartl in den Saal und zeigte offenbar ein sehr hohes Interesse für meinen Unterricht. Dieses Interesse muss fürwahr sehr groß gewesen sein, denn es ist bisher noch nie vorgekommen, dass ein Minister mit seinem Sektionschef zur Eröffnung einer Klasse in die Kunstgewerbeschule gekommen war,“ schreibt iek in seinem „Curriculum Vitae“.

Dass er diese Jugendkunstklasse durchgesetzt hat, hat der Künstler auch seinen Kollegen zu verdanken. Laven: „Seine Methode fand bei anderen Malern, vor allem bei den sich gerade formierenden Secessionisten, große Anerkennung. Sie unterstützten ihn auch bei deren Institutionalisierung. Ganz anders die etablierte Lehrerschaft: Sie rebellierte beim Unterrichtsministerium und hielt Versammlungen gegen die Forcierung dieser ,erdachten Pinselmethode‘ ab.“

Ohne Erfolg – die Jugendklasse blühte und gedieh. 1919/20 bestückte sie die Ausstellung „Kunst und Kind“ im Wiener Liechtensteingarten, die danach vier Jahre lang durch England und Amerika tourte. In London kam sogar die Queen, um sich die Ausstellung anzusehen.

Die größte Bedrohung für ieks Idee war immer die finanzielle. Laven: „Die Jugendklasse war für Kinder aller Schichten offen: Der Nachwuchs von Arbeitslosen war ebenso willkommen wie der von Adeligen. Die Kinder mussten nur Materialgeld zahlen: Das übernahm iek aber, wenn die Eltern es sich nicht hätten leisten können.“

Drohende Auflösung

In den Kriegsjahren 1914-1918 verschlechterten sich die Verhältnisse drastisch. Die damalige Schülerin Ilse Breit berichtet: „In den Klassen waren beinahe keine Farben mehr, die Papiere auf denen wir malten, wurden immer kleiner und schlechter. Prof. Cizek und wir Kinder waren ganz niedergedrückt, jeden Augenblick hieß es: Unsere Klasse wird überhaupt aufgelöst, es sei kein Geld da, um sie zu erhalten.“

Hilfsaktionen aus dem angloamerikanischen Raum führten zu einem Wiederaufleben der Bewegung. Durch den Ständestaat und die NS-Machtergreifung wurde der Betrieb erneut erschwert. Laven: „1934 wurde iek pensioniert, er versuchte zunächst sein Lebenswerk zu retten, indem er als Hilfslehrer an der Kunstgewerbeschule weiter tätig war. 1938 komplimentierten ihn die NS-Machthaber aber endgültig hinaus.“

1946 starb Cizek einsam und völlig verarmt in Wien – er hatte sein gesamtes Geld in seine Vision gesteckt, die er immer nur als Kunst- und nicht als pädagogisches Projekt sah. Politisch war er nie. Laven: „Man muss sich das vorstellen: Er arbeitete in der Monarchie, im Krieg, im Ständestaat und dann noch kurz in der zweiten Republik – er starb 1946. Seine Idee war nicht ideologisch. Er wollte auch keine Künstler heranziehen, sondern Persönlichkeiten. Zweimal wurde Cizek von Maria Montessori besucht, die sich sehr für ihn interessierte. Natürlich kamen dennoch Künstler aus seiner Klasse: Etwa Hans Hollein oder der US-Modedesigner Rudi Gernreich.“

Am ehesten hatte er eine Nahebeziehung zum Roten Wien, das sich sehr um ihn bemühte. „Statt monarchistischen Herdentieren wollte man stolze Republikaner haben – da passte natürlich Cizeks Idee perfekt.“ Seinen Nachlass vermachte iek daher auch der Stadt. Über Umwege landeten die Kinderzeichnungen im Wien Museum.

Rolf Laven, „Franz Cizek und die Wiener Jugendkunst“, Schriften der Akademie der Bildenden Künste, Schlebrügge-Editor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2007)

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