"Piano-Man": Mysteriöser Fremder am Klavier

"Piano-Man". Seit er an der britischen Küste aufgegriffen wurde, spricht er kein Wort.

LONDON/WIEN. Ein Hollywood-Film könnte nicht spannender sein: Ein Mann um die 30 in einem schwarzen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte taucht völlig durchnässt auf der kleinen britischen Insel Sheppey auf. Er wandert ziellos die Küstenstraße entlang, wirkt verängstigt und spricht kein Wort.

Der geheimnisvolle Fremde wird schließlich ins örtliche Krankenhaus gebracht und gibt den Verantwortlichen Rätsel auf. Denn körperlich ist er vollkommen unverletzt.

All das geschah Anfang April. Seither hat der Mann noch immer keinen Ton von sich gegeben. Er hält die Ärzte des psychiatrischen Krankenhauses in Dartford aber durch sein virtuoses Klavierspiel in Atem. Sein Betreuer Michael Camp sagte, dass der Mann nach wie vor sehr verstört sei. "Aber am Klavier erwacht er zum Leben. Es war erstaunlich, als wir ihn zum Klavier in der Kapelle brachten. Er spielte viele Stunden lang, non-stop, bis er kollabierte", sagte Camp. Dabei soll der "Piano-Man", wie er mittlerweile von der britischen Presse genannt wird, Auszüge aus Tschaikowskys "Schwanensee" und Beatles-Songs gespielt haben. Camp sagte auch, dass der Mann lediglich beim Ertönen von Musik Reaktionen zeige, ansonsten blieb er aber völlig stumm.

Die britische Polizei arbeitet fieberhaft an der Klärung der Identität des Mannes. Seine Kleidung liefert wenig Aufschluss, denn aus dem Anzug waren sämtliche Etiketten entfernt worden. Ebenso brachten zwei Zeichnungen, die der Fremde im Krankenhaus anfertigte - eine schwedische Flagge und ein Konzertflügel - wenig Neues. Zu Pfingsten veröffentlichten Ermittler schließlich ein Foto des Mannes, woraufhin sich mehr als 400 Anrufer meldeten.

Doch auch ein vielversprechender Hinweis eines polnischen Straßenkünstlers verlief im Sand. Der Pole hatte gemeint, im Fremden seinen verloren geglaubten französischen Freund wiedergefunden zu haben. Aber kurz darauf meldete sich die Schwester des französischen Straßenmusikanten und gab bekannt, dass ihr Bruder zur Zeit in Frankreich sei.

Darüber, warum dem großen Unbekannten kein Ton über die Lippen kommt, wird viel spekuliert. Von Autismus war die Rede. Auch davon, dass er ein Schiffbrüchiger sein könnte, der auf Grund eines traumatischen Erlebnisses vorübergehend an Amnesie (Gedächtnisverlust) leide.

Doch die Geschichte des "Piano-Man" klingt für viele so unglaublich, dass an ihrem Wahrheitsgehalt gezweifelt wird. Könnte der Mann ein Betrüger sein, der die Ärzte hinters Licht führt? Dr. Karl Vass von der Universitätsklinik für Neurologie in Wien erzählte der "Presse", es sei durchaus möglich, Nervenärzte hinters Licht zu führen. "Er könnte ein guter Schauspieler sein", sagte der Neurologe.

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