Ukraine: "Wir haben Angst, Kinder zur Welt zu bringen"

Mit dem mysteriösen Verschwinden von Neugeborenen befasst sich nun auch der Europarat.

Charkow/Wien. Gleich nachdem die 22-jährige Svetlana Puzikova ihr Baby im ukrainischen Charkow zur Welt gebracht hatte, nahm eine ihr unbekannte Frau das Neugeborene an sich und verschwand aus dem Kreißsaal. Wenig später teilte ein Arzt der verstörten Mutter mit, dass es Komplikationen gegeben hätte und ihr Kind verstorben sei. Nein, sehen könne sie ihr totes Baby nicht mehr, denn es sei bereits begraben worden.

Das mysteriöse Verschwinden von Svetlanas Baby aus der staatlichen Geburtsklinik in Charkow in der Ostukraine dürfte kein Einzelfall sein. Eine ukrainische Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) geht davon aus, dass bis zu 700 Kinder in der Region in den vergangenen sieben Jahren unter ähnlichen Umständen verschwunden sind.

Tatjana Zakharova von "All Ukrainian Federation of Families with many Children" ist bei ihrer Arbeit mit sozial schwachen Familien auf die Vorfälle gestoßen. Seither lässt die 58-Jährige nicht mehr locker und will die Wahrheit herausfinden. Alle Anzeichen würden auf Organentnahmen schließen lassen, sagt Zakharova. Doch auch illegale Adoptionen können nicht ausgeschlossen werden.

Mittlerweile hat sich der Europarat eingeschaltet und eine Untersuchungskommission in die Ukraine entsandt. Als Berichterstatterin fungiert die Schweizerin Ruth-Gaby Vermot-Mangold, die Ende August nach Kiew reiste und nun in einem Interview angab, sie sei überzeugt, dass tatsächlich Kinder gestohlen würden. Auch Lena Zakharova und Tatyana Dormidontova machten im Jahr 2002 ihre Erfahrungen in der Geburtsklinik Nr. 6 in Charkow. Ihre erstgeborenen Babys starben angeblich gleich nach der Geburt, die Mütter durften die Leichen nicht sehen. Das Krankenhaus stellte weder Geburts- noch Sterbeurkunden aus. Den Familien wurde mitgeteilt, dass die Babys im Gemeinschaftsgrab Nr. 19 mit der Aufschrift "Bioabfall" begraben worden seien.

Vor zwei Jahren konnte Tatjana Zakharova die Öffnung des Massengrabes erwirken. Was sie darin fand, erhärtete den Verdacht, dass das Krankenhaus in dunkle Machenschaften verwickelt ist. Anstatt der ursprünglich angegebenen 28 Babyleichen fand man 30. Svetlana Puzikovas Kind war aber nicht darunter. Den meisten fehlte das Gehirn, aber auch andere Organe waren offensichtlich entnommen worden.

"Sie waren wie Hasen ausgenommen worden", sagte Zakharova gegenüber dem britischen Sender BBC. "Die Menschen hier haben jetzt sogar Angst davor, Kinder zur Welt zu bringen."

Die Direktorin des Krankenhauses, Larissa Nazarenko, wies alle Vorwürfe als "Lügen" zurück. Für keinen einzigen der Fälle gebe es ausreichende Beweise. "Wir wollen zeigen, dass diesem Problem nichts zu Grunde liegt außer Lügen und Provokationen", erklärte die Chefin der Klinik.

Allerdings befasst sich mittlerweile bereits die ukrainische Staatsanwaltschaft mit den dubiosen Vorkommnissen in der Charkower Geburtsklinik Nr. 6.

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