Belvedere: Harmonisierender Blick auf die Fremde

Belvedere Harmonisierender Blick Fremde
Belvedere Harmonisierender Blick Fremde(c) Belvedere
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Die Ausstellung "Orient & Okzident" zeigt österreichische Künstler auf Reisen. Kolonialismus, Konflikte oder Armut spiegeln sich nur in Ausnahmefällen in den Werken von Pettenkofen bis Müller wider.

Sie saßen in den Straßen, auf Feldern oder Plätzen und malten, zeichneten, skizzierten Moscheen, Märkte und Menschen. Ob als Illustratoren der Kriegsberichterstattung, von Aristokraten als Chronisten eingeladen oder als abenteuerlustige Individualisten, im 19.Jahrhundert gingen Künstler immer häufiger auf Reisen. Die Zeit war geprägt vom Kolonialismus, der den Kolonien Unterdrückung und Unfreiheit bis zur Sklaverei brachte, dem Westen dagegen Reichtum, aber auch eine Neugierde an der Fremde.

Je komfortabler die Ausflüge in die Ferne wurden, desto mehr folgten auch die Künstler dem Expansionskurs, um den Daheimgebliebenen Bilder der fremden Welt mitzubringen. Bald entwickelte sich daraus ein Orientalismus, der keine ethnischen Wahrheiten, sondern die westliche Vorstellung des Orients kreierte: eine von Sinnlichkeit und Dekadenz geprägte Welt.

In Frankreich und England kamen erotisch aufgeladene Badehausszenen, opulente Harems- und Sklavenbilder in Mode, allesamt der Fantasie der Künstler entsprungen. In Österreich dagegen entwickelte sich eine Orientmalerei, die das Leben vor Ort dokumentierte.

Dank des Österreichischen Lloyd, der Schifffahrtsgesellschaft im Mittelmeer, konnten die Künstler ab 1833 in nur fünf Tagen direkt von Triest nach Alexandria reisen. Hauptvertreter der österreichischen Orientalisten ist Leopold Carl Müller. Neun Mal zog es ihn nach Ägypten. Anders als seine französischen und englischen Kollegen entwarf er keine malerischen Illusionen, sondern suchte das alltägliche Leben: „Das Durcheinander von Menschen, Thieren, Zelten ist das Malerischste, das ich in meinem Leben gesehen habe“, schrieb er 1875. Unter freiem Himmel entstanden zunächst nur Studien. Drei Jahre malte er an seinem „Markt in Kairo“ (1878), begann das Bild vor Ort und vollendete diese faszinierende Dokumentation des Lebens in Ägypten später in seinem Atelier in Wien. Dort hatte er auch ein ganzes Lager von Bekleidung, Gefäßen und Teppichen, um sie als originale Vorlage für seine Bilder zu verwenden. Manche seiner Werke waren Auftragsarbeiten, von anderen sandte er Fotografien an seinen Londoner Galeristen – denn dort befand sich der Hauptmarkt für die hochgefragten Orientalisten.

Eng befreundet war Müller mit August von Pettenkofen. Nachdem Pettenkofen 1849 als Kriegsmaler am Ungarn-Feldzug teilgenommen hatte, entdeckte er in Szolnok seine Faszination an der Landschaftsmalerei. Die ungarische Stadt war damals ein Handelszentrum und östliche Endstation des Eisenbahnnetzes der k.k. Monarchie. Hier fand Pettenkofen von den 1850er- bis zu den 1870er-Jahren Themen, Szenen und Reize für seine stimmungsvollen Bilder. In Szolnok arbeitete ein Postmeister, der gern Maler beherbergte und so dazu beitrug, dass um Pettenkofen eine auf bäuerlichen Realismus ausgerichtete Künstlergruppe entstand.

Pettenkofen allerdings zog es immer häufiger in die Umgebung der Stadt. Um die einzigartigen Eindrücke in der ungarischen Tiefebene wiederzugeben, bevorzugte er auffallend schmale Bildformate mit Panoramablick, in der vereinzelte Dinge oder Wesen den Maßstab des Dargestellten betonen.

Wie Pettenkofen sah auch Müller in den neuen Bildmotiven eine Befreiung der Malerei aus den engen Fesseln der akademischen Traditionen. Beide tauschten sich immer wieder über die Herausforderungen aus, das gleißende Licht des Südens, das tiefe Blau des Meeres und die Weiten der Landschaften in Farbe zu übersetzen. Sie reisten gemeinsam nach Italien und teilen sich bis heute sogar ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof. Ihre Freundschaft hat das Belvedere jetzt als Ausgangspunkt für eine faszinierende Ausstellung genommen. „Orient & Okzident“ zeigt „Österreichische Künstler auf Reisen“, wie es der Untertitel lapidar ankündigt. Während Pettenkofens ungarische Szenen den Okzident repräsentieren, stehen die übrigen Maler für den Orient. Die 115 Werke, darunter 44 aus der eigenen Sammlung, sind angeordnet wie „eine Reise“, so Kuratorin Sabine Grabner: von den Pferdemärkten und Dorfidyllen in Ungarn durch die Weite der Puszta sehen wir Bilder von der dalmatinischen Küste, aus Griechenland und Konstantinopel (heute Istanbul), von der Levante bis Syrien und Ägypten, aus Ceylon (heute Sri Lanka) und Indien. Beeindruckend Ludwig Hans Fischers „Basar in Lahore“ (1888–1890), der in den blassen Farben die Hitze in der pakistanischen Stadt einfängt, oder August Schöffts „Überfahrt über den Tigris“ (1850), der die gesamte Dramatik der Aktion in den Formen der Berge und Wolken noch steigert. Zuletzt endet unser Blick auf einer Unterwasserwelt von Eugen von Ransonnet-Villez.

Malen mit Taucherglocke

Er ist der einzige Künstler im 19.Jahrhundert, der auch unter Wasser malte. Dafür hatte er sich in Wien eine Taucherglocke anfertigen lassen, mit der er 1864 im Süden Ceylons erste Tauchversuche startete. In der Eisenkabine zeichnete er auf „grünlichem, mit verdünntem Copalfirniss getränktem“ Papier fünf Meter unter Wasser.

Auch wenn diese Werke keine der Fantasie entsprungenen sinnlichen Szenen zeigen, sondern vor Ort entstanden sind, so wird hier doch das Bild einer oft idyllischen Fremde geboten. Darum können hier auch die Orientalisten mit den eher volkstümlich angelegten Werken Pettenkofens zusammenkommen, der „seinen Orient“ in Ungarn fand. Gemeinsam ist allen Malern auch, dass sie weder die Folgen des Kolonialismus noch Konflikte noch Armut ins Bild rücken.

Das Leben in dieser Fremde ist harmonisch. Ein abweichender Blickwinkel gehörte damals noch nicht ins künstlerische Repertoire. Einzig Johann Victor Krämers „Motiv aus Tangar“ zeigt einen verwesenden Tierkadaver, aber als vereinzeltes, in keinem erklärenden Zusammenhang stehendes Motiv. Auch von einem Austausch der Maler mit Menschen vor Ort erzählt kaum ein Bild. (bis 14.10.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2012)

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