Thailand: "Wir wollen echte Demokratie"

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Thailands "Rothemden" satteln um: Nachdem die Proteste im Jahr 2006 in einem Blutbad endeten, will man nun die Gesellschaft von unten verändern, sagt Chefin Thida Thavornseth im Interview mit der "Presse".

Bangkok. Einst waren die zwei Frauen Verbündete. Theoretisch stehen Premierministerin Yingluck Shinawatra, die seit dem überwältigenden Wahlsieg ihrer Pheu-Thai- Partei (PTP) vor einem Jahr regiert, und Thida Thavornseth, die Führerin der „Rothemden“, noch immer auf derselben Seite. Denn die Rothemden, eigentlich „Vereinigte Nationale Front für Demokratie und gegen Diktatur“, sind die Massenbewegung, die Shinawatra – Schwester und mutmaßliche Platzhalterin des 2006 vom Militär ins Exil getriebenen Premiers Thaksin – ins Amt trug.

Doch dort muss die 45-Jährige nun Kompromisse mit dem Militär und anderen alten Machtzentren schließen. Dies stößt bei den Rothemden auf Unmut, die sich zudem erhofft haben, dass ein demnächst angesetzter Prozess gegen ihre Führer eingestellt wird. Den Aktivisten – darunter der Ehemann der 69-jährigen Thavornseth – wird Terrorismus vorgeworfen. Die Rothemden sind verbittert darüber, dass die Verantwortlichen für das brutale Vorgehen der Militärs gegen die Massenproteste – 91 Menschen waren damals getötet, 2000 verletzt worden – bis heute nicht vor Gericht gestellt wurden.

Die Presse: Sie haben in Den Haag den Internationalen Strafgerichtshof aufgefordert, Ex-Premier Abhisit Vejjajiva und die übrigen Verantwortlichen für das brutale Vorgehen der Armee gegen demonstrierende Rothemden 2010 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuklagen. Warum?

Thida Thavornseth: Wenn wir gute Gerichte in Thailand hätten, wäre das nicht notwendig gewesen. Aber die Gerichte handeln nicht im Einklang mit dem Willen des Volkes, deshalb sahen wir uns zu diesem Schritt gezwungen. Außerdem gibt es in der thailändischen Gesetzgebung keinen Straftatbestand namens „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, der Internationale Strafgerichtshof ist daher unsere einzige Hoffnung.

In Bangkok wird zunehmend über eine Rückkehr des vom Militär 2006 gestürzten Ex-Premiers Thaksin Shinawatra aus dem Exil spekuliert. Sind diese Spekulationen begründet?

Alle Rothemden wollen, dass Thaksin zurückkommt. Aber wenn er es jetzt tut, wird er in Thailand nicht am Leben bleiben. So lange es in Thailand keine Rechtsstaatlichkeit gibt, kann Thaksin nicht zurück. Zuerst brauchen wir eine neue Verfassung, das hat oberste Priorität. Die Verfassung, die nach dem Putsch auf Betreiben des Militärs ausgearbeitet wurde und seit 2007 gilt, wird von uns abgelehnt.

Ihrer Meinung nach gibt es also in Thailand aktuell weder echte Demokratie noch funktionierende Rechtsstaatlichkeit?

Unser Land, in dem das Volk die Macht als Souverän ausüben sollte, wird kontrolliert von elitären Gruppen: Militär, Justiz und Aristokratie. Insbesondere Militär und Justiz arbeiten zusammen gegen das Volk: Jedes Mal, wenn die Armee geputscht hat, ist das von den Gerichten im Nachhinein abgesegnet worden. Mit Begründungen wie der, dass sich im erfolgreichen Staatsstreich die Ausübung „der höchsten Autorität im Land“ manifestiere. Dagegen kämpfen wir Rothemden: Wir wollen, dass dieses Land dem Volk gehört. Wir wollen echte Demokratie – und kein Spiel, dessen Regeln bestimmt werden von einer Gruppe von Leuten, die im Land die Macht an sich gerissen haben.

Mit Yingluck Shinawatra haben die Rothemden zwar ihre Frau in die Regierung gebracht. Trotzdem sitzen noch immer Rothemden im Gefängnis, weil sie gegen die politischen Verbündeten des Militärs gekämpft haben. Führende Persönlichkeiten der Rothemden, wie auch Ihr Ehemann, stehen unter Anklage.

Die Gerichte in Thailand sind eine wichtige Stütze der Oligarchie, sie haben keinerlei Beziehung zum Volk. Zugleich berufen sich die Gerichte stets darauf, ihre Urteile im Namen des Königs zu fällen. Deshalb ist es für die gewählte Regierung unter Yingluck Shinawatra schwierig, im Gespräch mit den Gerichten eine Lösung dieser Situation herbeizuführen. Zumal auch die Armee nach wie vor ein wichtiger Machtfaktor ist.

Mit gemeinsamen öffentlichen Auftritten möchte Yingluck Shinawatra ihr gutes Verhältnis zum Armeechef demonstrieren. Nicht allen Rothemden gefällt dieser Kuschelkurs. Schließen Sie sich der Kritik an?

Wir verstehen, dass Yingluck Shinawatra alles versucht, um ihre Regierung im Amt zu halten und so lange wie möglich Premierministerin zu bleiben. Wir, die „Vereinigte Nationale Front für Demokratie gegen Diktatur“, sind aber eine andere Organisation als die Pheu-Thai-Partei Shinawatras. Wir wollen Thailand und seine Gesellschaft verändern, Rechtsstaatlichkeit durchsetzen und die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Wir unterstützen die Regierung Shinawatras, aber wir warnen sie auch: Sie soll die Geduld des Volkes nicht zu sehr strapazieren. Wir warnen – als Freunde, nicht als Feinde!

Die Opposition hat gegen die Bestrebungen der Regierung, eine neue Verfassung ausarbeiten zu lassen, das Höchstgericht angerufen. Das hat den Antrag zwar zurückgewiesen. Der Vorgang zeigt aber, wie schwierig es ist, die nach den Wünschen der Militärs maßgeschneiderte Verfassung zu ändern. Wie soll das Projekt gelingen?

Wir müssen das einfach durchsetzen. Deshalb haben wir unseren Anhängern gesagt, dass jetzt die nächste Runde des Kampfes begonnen hat. Und das ist ein Kampf, den wir mit einer neuen Strategie und mit Verstand führen werden. Wir wollen, dass die Macht wieder in den Händen des Volkes liegt, und als ersten Schritt wollen wir den Wissensstand der Menschen verbessern: Vor allem die Rothemden an den Graswurzeln der Bewegung sollen die bisherigen Machtverhältnisse im Land verstehen und die Ziele, für die wir kämpfen. Daher gründen wir mobile politische Schulen überall im Land, das kann sogar in Hotels oder Tempeln sein. Davor haben unsere politischen Gegner inzwischen Angst bekommen: Weil wir auf diese Weise die thailändische Gesellschaft von unten verändern.

Was würden Sie bei einem Putsch machen, wenn die Panzer wieder durch Bangkok rollen? Erneut in den Dschungel gehen, wie 1976 nach dem Massaker an der Thammasat-Universität, mit dem die Armee Studentenproteste unterdrückt hat?

Nein, nein, nein! Das wird nicht notwendig sein. Momentan zählen die Rothemden nicht weniger als 15 Millionen Anhänger, so viele Menschen haben nämlich die Pheu-Thai-Partei gewählt. Mit den Unterstützern erreichen wir gut 20 Millionen, und wir arbeiten täglich daran, diese Basis zu verbreitern. Deshalb dürfte es den Militärs klar geworden sein, dass es ziemlich schwierig wäre, eine Wiederholung des Putsches von 2006 zu versuchen.

Auf einen Blick

Die Rothemden – eigentlich „Vereinigte Nationale Front für Demokratie und gegen Diktatur“ – sind eine Massenbewegung, die dem 2006 vom Militär gestürzten Ex-Premier Thaksin Shinawatra nahesteht. Ihren Namen haben sie von den zum Erkennungsmerkmal gewordenen roten Hemden. Im März 2010 gingen sie auf die Straße, um Neuwahlen zu erzwingen. Die damalige Führung ließ die Proteste schließlich brutal niederschlagen, mehr als 90 Menschen wurden getötet, 2000 verletzt. Gewählt wurde schließlich 2011, seither regiert Thaksins Schwester Yingluck.

Die Gelbhemden – eigentlich „Volksallianz für Demokratie“ – sind die Gegenbewegung zu den Rothemden. Gelb gilt in Thailand als die Farbe der – sakrosankten – Monarchie, womit sich die Bewegung quasi automatisch auf die „richtige“ Seite stellt. Sie wurde 2005/2006 gebildet, aus Protest konservativer Kreise gegen die Regierung von Thaksin. Auch die Gelbhemden setzten spektakuläre Aktionen, so 2008 mit der Besetzung der Flughäfen von Bangkok. Damit erreichten sie letztlich die Ernennung des ihnen genehmen Premiers Abishit Veijajiv, der bis 2011 regierte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2012)

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