Aleppos Kulturgütern droht die Zerstörung

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Symbolbild(c) AP (Muhammed Muheisen)
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Archäologen schlagen Alarm: In der mittelalterlichen Altstadt der syrischen Handelsmetropole toben Kämpfe, jahrhundertealte Minarette wurden von Raketen zertrümmert. Antike Tempel liegen mitten im Schussfeld.

Kairo/Aleppo. Jagdbomber donnern über die Dächer, Kampfhubschrauber feuern auf Wohnhäuser: In den mittelalterlichen Schießscharten der Zitadelle von Aleppo lauern Scharfschützen auf ihre Opfer. Seit einem Monat wird in der 5000 Jahre alten syrischen Handelsmetropole erbittert gekämpft. Über 200.000 Einwohner sind bereits aus der zweitgrößten Stadt Syriens geflohen. Mittlerweile toben die Straßenkämpfe in der historischen Altstadt, die seit 1986 zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. Das fein ziselierte Minarett der 700 Jahre alten Mahmandar–Moschee im Viertel Bab al-Nasr wurde von einer Rakete getroffen, nachdem sich Rebellen in seiner Nähe verschanzt hatten. In den verwinkelten Gassen brennen Müllberge.

Panzer in jahrhundertealter Zitadelle

Auf Videos sind Panzer zu sehen, die durch den weltberühmten Stadtkern rollen. Bilder, die bei der Besetzung der Zitadelle durch Assads Soldaten gedreht wurden, zeigen schwere Zerstörungen. Mauerteile liegen herum. Unter dem Torturm am Ende der Zugangsbrücke klafft ein metergroßer Krater, den eine Rakete geschlagen hat, vermutlich abgefeuert von Rebellen der islamistischen Tawhid-Brigade. Herausgebrochen liegen die massiven Eisentore auf dem Boden, die aus der Epoche Saladins stammen. Der Kommandant der Tawhid-Brigade, Abdel Qader al-Saleh, will die Zitadelle stürmen: „Das ist der höchste Punkt der Stadt, wenn wir ihn kontrollieren, können wir Assads Armee schlagen.“ Seine Leute haben das Wahrzeichen Aleppos umzingelt, von dem aus unterirdische Tunnel bis in die Altstadt reichen.

Und so fürchten Archäologen und Historiker weltweit, dass der syrische Bürgerkrieg weitere irreparable Wunden schlagen wird. Neben Aleppo sind nach Angaben von Unesco-Chefin Irina Bokova bereits fünf der sechs Weltkulturstätten Syriens beschädigt – Damaskus, die Kreuzfahrerfestung Crac de Chevalier, das spätrömische Palmyra sowie die sogenannten vergessenen Städte aus byzantinischer Zeit. Noch nie in seiner Geschichte war Aleppo – wie jetzt durch das Assad-Regime – aus der Luft bombardiert worden. 16 Monate lang blieben seine drei Millionen Einwohner von den Kämpfen verschont, jetzt trifft die Gewalt einen der ältesten Siedlungsplätze der Menschheit mit umso größerer Wucht. Denn die Rebellen wollen mit der Eroberung die Basis für ihren Sieg über Damaskus legen. Das Assad-Regime weiß, wenn es Aleppo nicht halten kann, ist der Kampf um die Macht verloren.

Mittelalterliche Paläste

Allen voran deutsche Archäologen, Architekten und Städteplaner haben in den vergangenen 15 Jahren das historische Zentrum von Aleppo behutsam restauriert. 120.000 Menschen leben in der Altstadt, die von Anfang an in die Rehabilitierung ihrer Häuser miteinbezogen wurden – ein Unterfangen, das die „New York Times“ vor zwei Jahren als „das weitsichtigste Instandhaltungsprojekt des Nahen Ostens“ lobte. Zwölf Kilometer lang ist der Souk, der hunderte mittelalterliche Häuser und Koranschulen, Handelshöfe und Paläste sowie eine Moschee aus der Ommayyadenzeit in sich birgt.

Eingestreut finden sich Touristenhotels mit malerischen Innenhöfen. Jetzt sind sie von Zerstörung bedroht. Das Gleiche gilt für den Tempel des Sturmgottes Adda, der nach Angaben des „World Monuments Fund“ zu den ältesten Bauwerken der Menschheit  gehört. Er wurde 1996 von Berliner Archäologen unter der Leitung von Kay Kohlmeyer im Herzen der Zitadelle entdeckt und ausgegraben. Bislang war der Tempel, dessen erste Bauphase bis in die Bronzezeit zurückreicht, Besuchern nicht zugänglich. Ein geplantes Museum zum Schutz der Ausgrabungsstätte wurde wegen des Aufstandes in Syrien nicht mehr begonnen.

Und so sind die Basaltreliefs mit Gottheiten und mythischen Figuren, die teilweise noch älter sind als die in Berlin rekonstruierten berühmten Figuren von Tell Halaf, derzeit nur durch Sandsäcke vor den Kugeln geschützt. Der Ausgrabungsplatz ist notdürftig mit einem Wellblechdach abgedeckt.

Museen und Ausgrabungsorte geplündert

„Wir befürchten, dass es jetzt und nach einem möglichen Fall des Regimes zu Plünderungen kommt“, sagt Kay Kohlmeyer, der an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) lehrt. Auch die Unesco hat Hinweise, dass Plünderer und Händler unterwegs sind, um Ausgrabungsorte und Provinzmuseen heimzusuchen.

Aus dem Museum Palmyra wurden wertvolle Fundstücke gestohlen, das Nationalmuseum Aleppo liegt nahe den Kampflinien. „Wer Städte und Dörfer mit Düsenjägern bombardiert, nimmt alles in Kauf“, sagt der Archäologe. „Was sich in Syrien abspielt, ist ein gigantisches Guernica.“

Auf einen Blick

Die Handelsmetropole Aleppo ist 5000 Jahre alt. Die mittelalterliche Altstadt wurde 1986 von der „Unesco“ zum Weltkulturerbe erklärt. 1993 begannen die Renovierungen der Medina: 2004 erhielt das u. a. von Deutschland unterstützte Projekt den Städtebaupreis der „Harvard School of Design“.
Die Stadt war historisch vor allem als Handelsplatz bedeutend: Sie lag am Kreuzungspunkt zweier Handelsstraßen, über Aleppo lief auch der Handel nach Indien.
Archäologen befürchten, dass die Kämpfe in Aleppo irreparable Wunden schlagen werden. Sie warnen nicht nur vor Plünderungen, sondern auch vor der Zerstörung teilweise jahrtausendealter Kulturschätze.
Laut Unesco sind neben Aleppo bereits fünf der sechs Weltkulturstätten Syriens beschädigt: Damaskus, die Kreuzfahrerfestung Crac de Chevalier, das spätrömische Palmyra sowie die sogenannten vergessenen Städte aus byzantinischer Zeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2012)

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