Der dritte Mensch gewinnt Konturen: Präzises Genom des Denisovaners ist da

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Durch eine Revolution der Methode kann die DNA längst ausgestorbener Menschen so genau analysiert werden wie die lebender Menschen. Das ermöglicht endlich den großen Vergleich.

Braune Augen hatte sie, braune Haare und eine dunkle Haut, darauf deuten die Varianten der entsprechenden Gene, und dass sie eine sie war, ist völlig sicher: Im Genom der bisher einzigen gefundenen Vertreterin des dritten Menschen findet sich kein Y-Chromosom. Sie war also eine Frau bzw. ein Mädchen, Letzteres zeigte der winzige Rest, der von ihr geblieben ist: 2010 war Bence Viola, ein Anthropologe, der von der Uni Wien ans MPI für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig übersiedelt war, in Sibirien, in der Denisova-Höhle im Altai. Er war hinter Neandertalern her, die hatten die Höhle früher bewohnt, auch Spuren unserer Ahnen hatten sich schon gefunden.

Aber unter den tausenden Knochen, die Viola sichtete, fand sich ein Fragment eines Fingerknochens – wenige Millimeter –, der weder von Neandertalern noch von Homo sapiens stammte. Violas geschultes Auge sah es sofort, dann übernahmen seine Genetiker-Kollegen in Leipzig: 2011 war das Genom sequenziert, nun war man sicher, dass man es mit einem dritten Menschen zu tun hatte, und nannte ihn „Denisovaner“.

Aber alle Details konnte die erste Runde nicht erfassen, und was sie erfassen konnte, war nicht gut gesichert. Das kommt daher, dass die Paläogenetiker mit der gleichen Methode arbeitet wie die, die mit heutigen Genomen zu tun haben: Die gesamte doppelsträngige DNA wird vervielfältigt, in mehreren Schritten, bei jedem können Teile verloren gehen, unwiderruflich. Das ist bei lebenden Menschen kein Problem, man wiederholt einfach die ganze Prozedur wieder und wieder, man hat ja DNA genug. Aber wenn man nur ein Fragment eines Knöchelchens hat – später kamen noch zwei Zähne dazu –, dann heißt es sparsam sein. Für das Genom 2011 extrahierte man ein wenig DNA aus dem Knochen, verbrauchte bei der Analyse nicht alles, lagerte es ein. „Aus diesem winzigen Rest haben ich nun zehnmal so viel Information gezogen wie die Kollegen damals“, berichtet Matthäus Meyer, auch MPI Leipzig, „das Fossil habe ich gar nicht angefasst.“

Das konnte er, weil er eine revolutionäre Methode ersonnen hat: Meyer vervielfältigte nicht den DNA-Doppelstrang, er trennte ihn erst in die einzelnen Stränge und vervielfältigte dann: So kann nichts mehr verloren gehen, zumindest nicht so leicht, man hat ja zur Sicherheit immer noch den anderen Strang. „Wir sind das erste Mal in der Lage, das Genom eines ausgestorbenen Menschen in der gleichen Qualität vorzulegen wie bei lebenden Menschen“, erklärt der Forscher (Science, 30. 8.).

Damit wurden zum einen die früheren Befunde bestätigt, der von den braune Augen etc., auch der, dass sich die Denisovaner, so wie die Neandertaler, mit Homo sapiens vermischt haben, vor allem in Südostasien, drei Prozent des Genoms haben Menschen auf Papua Neuguinea von ihnen. Damit zeigte sich zum anderen ganz Neues: Aus den beiden Strängen konnte Meyer herauslesen, was das Kind vom Vater hatte und was von der Mutter. Und daraus konnte er die genetische Vielfalt der Art bestimmen. Die war beschränkt, viele kann es nicht gegeben haben, zumindest nicht in der Endphase: Das Mädchen lebte vor 74.000 bis 82.000 Jahren. Begonnen hatte alles – die Abspaltung von unseren Ahnen – vor 170.000 bis 700.000 Jahren.

„Frustrierend“: Strittige Mutationsrate

Diese Bandbreite ist nicht nur für Meyer „frustrierend“. Sie kommt daher, dass es in der Genetik in einem anderen Bereich derzeit drunter und drüber geht: Wer aus einem Genom das Alter der Art lesen will, muss die Mutationsrate kennen. Die galt bei Menschen lange als bekannt, ist seit einiger Zeit aber hoch umstritten. Meyer hofft auf Klarheit „in zwei Jahren“.

Sofort hingegen kann der Hauptvorteil der neuen Methode genutzt werden: Meyer hat das Denisovaner-Genom mit dem heutiger Menschen verglichen, an 100.000 Positionen gibt es Unterschiede. Schaut man nur auf die kodierenden Gene, wird das Bild einfacher: 260 sind verschieden, viele haben mit dem Nervensystem und dem Gehirn zu tun, andere mit Augen und Haut. Sie müssen nun im Detail erkundet werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2012)

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