Durchstechen von Ohrläppchen kann bei Babys strafbar sein

Durchstechen Ohrlaeppchen kann Babys
Durchstechen Ohrlaeppchen kann Babys(c) AP (JENNY SPARKS)
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Ein Loch ins Ohr zu stechen beeinträchtigt die körperliche Integrität. Ob es erlaubt ist, hängt davon ab, ob wirksam eingewilligt wurde.

Innsbruck. In Deutschland ist eine intensive Diskussion über das Durchstechen von Ohrläppchen bei Kindern im Gang. In manchen Ländern ist ja das Tragen von Ohrsteckern bei Säuglingen geradezu üblich. Wie ist die Rechtslage in Österreich? Machen sich Ärzte oder Juweliere strafbar, wenn sie auf Wunsch des Kindes oder eines Elternteils ein Loch ins Ohr stechen? Und sind vielleicht auch die Eltern strafbar, die bei ihrem Baby einen Ohrstecker anbringen lassen?

Das Durchstechen von Ohrläppchen, um einen Ohrstecker anbringen zu können, stellt zweifellos eine nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit dar und erfüllt damit das Tatbestandsmerkmal der Körperverletzung nach § 83 StGB (Strafgesetzbuch). Wenn z.B. eine linsengroße Hautabschürfung am Daumen nach der Rechtsprechung bereits eine Körperverletzung darstellt, dann umso mehr das Durchbohren des Ohrläppchens.

Nach herrschender Auffassung in Österreich verwirklicht ein Heileingriff, der medizinisch indiziert ist und nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft („lege artis“) vorgenommen wird, nicht den Tatbestand der Körperverletzung: Derartige Eingriffe sollen ja den Gesundheitszustand des Patienten im Ergebnis verbessern. Die Intention, eine Person zu heilen, widerspricht schon begrifflich dem Wort „verletzen“, mag auch der Heilungserfolg nur über Zwischenetappen erreicht werden, die den Gesundheitszustand des Patienten vorübergehend beeinträchtigen.

Das Durchstechen des Ohrläppchens ist aber eindeutig keine Heilbehandlung, weil es den Gesundheitszustand des Kindes nicht verbessert. Ganz im Gegenteil: Der Eingriff birgt ein gewisses Komplikationsrisiko in sich (Infektionen), auch wenn er mit der Beschneidung von Knaben gewiss nicht vergleichbar ist. Daher bleibt es dabei: Der Tatbestand einer Körperverletzung ist erfüllt, und auch am Vorsatz jener Personen, die einen solchen Eingriff vornehmen, ist füglich nicht zu zweifeln: Dem Arzt, dem Juwelier, den Eltern kommt es gerade darauf an, dass das Ohrläppchen durchbohrt wird, und ohne eine kleine Wunde (und Zufügung von Schmerzen) lässt sich das nicht bewerkstelligen.

Durch Einwilligung gerechtfertigt

Körperverletzungen können jedoch nach § 90 StGB durch Einwilligung gerechtfertigt sein. Voraussetzung dafür ist die Einwilligungsfähigkeit der betreffenden Person: Sie muss ausreichend einsichts- und urteilsfähig sein, um Art und Folgen der Körperverletzung im Wesentlichen beurteilen zu können. Dies setzt wiederum eine entsprechende Aufklärung über den Eingriff voraus.

Bei volljährigen Personen (ab 18) ist die Einwilligung in derart geringfügige Eingriffe wie das Durchstechen von Ohrläppchen kein Problem. Das Gleiche gilt grundsätzlich auch für mündige Minderjährige (ab Vollendung des 14. Lebensjahres): Bei ihnen ist in aller Regel eine ausreichende Einsichts- und Urteilsfähigkeit anzunehmen, sodass sie selbst (allein) einwilligen können.

Weil die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für die Einwilligung maßgeblich ist, können auch Unmündige (unter 14) in harmlose Eingriffe selbst einwilligen: Je harmloser ein Eingriff ist, desto eher ist die Einwilligungsfähigkeit von Kindern gegeben. Für das Ohrläppchenstechen wird man bei Kindern ab dem Schulalter eine ausreichende Einsichtsfähigkeit annehmen können, sodass in diesen Fällen keine zusätzliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters notwendig ist.

Bei noch Jüngeren kann die Strafbarkeit entfallen, wenn der gesetzliche Vertreter rechtswirksam einwilligt. Das ist für Heileingriffe weitgehend anerkannt. Bei anderen Eingriffen ist zu beachten, dass der Vertreter nur Eingriffe erlauben kann, die dem Wohl des Kindes dienen. Das kann man beim Durchstechen der Ohren freilich im Allgemeinen nur dann annehmen, wenn das Kind den Eingriff selbst wünscht. Einen solchen Willen kann das Kind frühestens mit dem Kindergartenalter, eher erst ab vier oder fünf Jahren entfalten. An Babys kann das Stechen eines Ohrlochs daher trotz Zustimmung der Eltern strafbar sein, weil dies keine Heilbehandlung ist und auch nicht dem Kindeswohl dient.

Klaus Schwaighofer ist Professor für Strafrecht an der Uni Innsbruck.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2012)

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