Papst Benedikt XVI. hielt mitten im aufgewühlten Nahen Osten ein flammendes Plädoyer für Toleranz und Religionsfreiheit.
Mit einem eindringlichen Plädoyer für Religionsfreiheit und Toleranz hat Benedikt XVI. am zweiten Tag seines Libanon-Besuches einen Kontrapunkt zu Gewalt und wachsenden religiösen Spannungen im Nahen Osten gesetzt. Nur im Frieden könne „das gute Einvernehmen zwischen den Kulturen und den Religionen, die gegenseitige Wertschätzung und die Achtung vor den Rechten jeder Seite wachsen“, sagte der Papst in seiner Rede vor der politischen und religiösen Führung des Zedernstaates.
Eine plurale Gesellschaft gebe es nicht ohne gegenseitigen Respekt, „nicht ohne den Wunsch, den anderen zu kennen, und den ständigen Dialog“. Die größte Herausforderung aber sei, „Nein zur Rache zu sagen, eigene Fehler einzugestehen, Entschuldigungen anderer anzunehmen und schließlich zu vergeben“.
Konfetti und Jubelrufe begleiteten den Papst, als er am Samstag mit dem Papamobil von der Nuntiatur im Bergdorf Harissa durch die Straßen von Beirut zum Präsidentenpalast in Baabda fuhr. Tausende Menschen, darunter viele Kinder, hatten seit den frühen Morgenstunden an den Straßenrändern ausgeharrt, um einen Blick auf das katholische Oberhaupt zu erhaschen. „Sein Besuch ist ein Segen für den Libanon“, sagte eine junge Mutter, die mit ihren beiden kleinen Söhnen gekommen war. „Er macht uns bewusst, wie wichtig Frieden für das Zusammenleben ist.“ Im Präsidentenpalast traf Benedikt XVI. mit dem christlichen Staatschef Michel Suleiman zusammen, dem sunnitischen Premier Nagib Mikati, dem schiitischen Parlamentssprecher Nabih Berri sowie zahlreichen Repräsentanten der muslimischen Gemeinschaften, darunter auch der Hisbollah.
Gewalt geächtet. Religionsfreiheit sei ein Grundrecht, von dem andere Rechte abhingen, strich der Papst in seiner Rede heraus. „Sich zu seiner Religion zu bekennen und sie frei zu leben, ohne sein Leben und seine Freiheit in Gefahr zu bringen, muss jedem möglich sein.“ Im Libanon lebten Christentum und Islam seit Jahrhunderten zusammen. Es sei nicht selten, dass beide Religionen in der gleichen Familie nebeneinander existierten. „Wenn das in einer Familie möglich ist, warum sollte das nicht auch in der gesamten Gesellschaft möglich sein?“, fragte Benedikt.
Im Blick auf den Aufruhr in der arabischen Welt fügte der Pontifex hinzu, gelebter Glaube führe stets zur Liebe, echter Glaube könne nicht zum Tod führen. Verbale und körperliche Gewalt müssten geächtet werden, sie seien immer ein Angriff auf die Würde des Menschen. „Wenn wir den Frieden wollen, müssen wir das Leben verteidigen.“ Dies gelte nicht nur für Krieg und Terroraktionen, sondern für jeden Angriff auf das Leben eines Menschen, erklärte Benedikt XVI. Der Libanon sei in dieser Situation mehr denn je dazu aufgerufen, Vorbild für den Nahen Osten zu sein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2012)