Soll der Bürger die Politiker ersetzen? "Alles Humbug"

(c) Clemens Fabry
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Experten verteidigen bei einem Symposion im Parlament die repräsentative Demokratie. Dieses sei keine „defizitäre Variante“ der Demokratie. Plebiszite als Ergänzung seien allerdings sinnvoll.

Wien. Seit Jahren kämpft die Initiative „Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform“ für Veränderungen. Geschehen ist noch nichts. „In Österreich sitzen Politiker gern Diskussionen aus“, analysierte am Montag der Obmann der Initiative, der ehemalige Zweite Nationalratspräsident Heinrich Neisser (ÖVP). Man werde dafür sorgen, dass das Aussitzen nicht gelingt. Zuvor hatte Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) erklärt, man müsse sich auch für den Ausbau der direkten Demokratie „Zeit“ nehmen.

Am Montag stand im Parlament das Symposion „Direkte Demokratie vs. Parlamentarismus – Wie kommen wir zu den besten Entscheidungen?“ an. Prammer erklärte dabei ihren Standpunkt, laut dem reine Mehrheitsentscheidungen der Bevölkerung „nicht des Rätsels Lösung“ sind. Eine Weiterentwicklung der direkten Demokratie könne es nur „auf Basis der Einbindung des Parlaments geben“, meinte Prammer.

Auch die Experten brachen eine Lanze für die repräsentative Demokratie. Dieses sei nicht etwa eine „defizitäre Variante“ der Demokratie, mahnte Verfassungsjurist Theo Öhlinger. Es handle sich vielmehr um die „unverzichtbare Form der Volksherrschaft in einem Rechtsstaat“. Eine direkte Demokratie könne niemals die Vielfalt einer Gesellschaft berücksichtigen. Denn das Volk könne bei Abstimmungen nur Ja oder Nein sagen, aber nicht Kompromisse finden. Auch Wahlrechtsexperte Klaus Poier von der Universität Graz warnte vor der Idee, dass alle politischen Entscheidungen nun von den Bürgern via Computer untereinander ausgemacht werden könnten und man Berufspolitiker nicht mehr brauche: „Alles Humbug“, kommentierte Poier derartige Ideen.

„Größte Schwäche“ der Politik

Doch die Experten betonten, dass direkte Demokratie sehr wohl als Korrektiv zur repräsentativen Demokratie dienen solle. So kritisierte Öhlinger als „größte Schwäche“ des Parlaments den Umgang mit Volksbegehren. Beim Bildungsvolksbegehren habe sich zwar ein eigener Ausschuss des Begehrens angenommen. Der sechsseitige Bericht des Ausschusses sei aber sinnbildlich: Auf vier Seiten wird dargestellt, worum es im Volksbegehren geht. Danach kommen eineinhalb Seiten mit den bloßen Namen derer, die mitdiskutiert haben. Und dann folgt im Papier als „Ergebnis der Beratungen“ der Antrag, der Nationalrat möge diesen Bericht doch so zur Kenntnis nehmen.

Öhlinger forderte, dass Initiatoren von Volksbegehren künftig besser nicht allgemeine Forderungen, sondern gleich einen Gesetzestext zum Gegenstand des Volksbegehrens machen. Dann tue sich die Politik schwerer, das Anliegen so zu schubladisieren.

Befragung nach Volksbegehren?

Wenn die Politik ein erfolgreiches Volksbegehren nicht umsetzt, solle es aber nicht wie von manchen angedacht automatisch eine Volksabstimmung geben. Stattdessen schwebt Öhlinger dann eine Volksbefragung vor. Diese wäre nicht bindend und würde dem Parlament die Möglichkeit geben, selber noch die Einzelheiten zu fixieren. Gleichzeitig wäre, so Öhlinger, der Druck auf die Politik aber auch nach einer Volksbefragung so groß, dass diese handeln müsste. Poier kritisierte, dass die Instrumente der direkten Demokratie in Österreich „verkehrt angelegt sind“: Nur die Herrschenden, nicht aber die „Beherrschten“ können momentan Volksabstimmungen in die Wege leiten. Poier will etwa „ernsthaft diskutieren“, ob Bürger nicht auch die Möglichkeit erhalten sollen, durch eine Volksabstimmung ein Veto gegen ein vom Parlament erlassenes Gesetz einzulegen. Zudem benötige man ein neues Wahlrecht, bei dem die Bürger stärker die Person des Politikers auswählen könnten.

Eines machte Prammer aber gleich klar: Ein Mehrheitswahlrecht werde es nicht geben, alle Fraktionen seien hier dagegen.

Auf einen Blick

Im Parlament wurde am Montag im Rahmen eines Symposions über den Ausbau der direkten Demokratie beraten. Experten und Nationalratspräsidentin Prammer stellten sich dabei hinter die repräsentative Demokratie. Nur durch sie könne man Kompromisse finden, Plebiszite sollten aber als Ergänzung dienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2012)

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