Besser ein bekannter Teufel als bloße Krisenmoderatoren

Es spricht im heutigen US-Wahlgang wenig, aber mehr für Barack Obama. Und es wäre wieder einmal viel zu früh, das Sterbeglöckchen für die USA zu läuten.

Die Argumentation klingt anfangs logisch bis bekannt, der Schluss überrascht dann aber doch: „So this newspaper would stick with the devil it knows, and re-elect him.“ Dieser Teufel heißt Barack Obama, und das politisch vielleicht wichtigste Magazin „The Economist“ macht es sich mit dieser Wahlempfehlung im Leitartikel nicht leicht. Mehrmals wird der Amtsinhaber dafür heftig kritisiert, weswegen ihn analytische Köpfe weltweit angegriffen haben: Noch selten zuvor hat ein US-Präsident so viel versprochen und so wenig gehalten. Auch in dieser Zeitung waren in den vergangenen Tagen immer wieder– zu Recht – harte Passagen über den Hope-Prediger aus Chicago zu lesen.

Europas Sicht auf die USA kennt im Groben zwei Projektionen: Da wäre einerseits die Romantisierung der Staaten, wie sie Ältere gern nennen. Andererseits gibt es da diesen ausgeprägten Antiamerikanismus. Obama stand wie kein Zweiter für das erste Phänomen, so ins Schwärmen kamen Kommentatoren das letzte Mal, als John F. Kennedy bei seinem Amtsantritt einen Generationenwechsel für die westliche Welt ankündigte. Dessen nunmehriger Herausforderer Mitt Romney löst wie jeder Republikaner in Kontinentaleuropa Empörung aus, für ihn spricht für die meisten Beobachter nur, dass er nicht Bush heißt. Allein diese breite Vorverurteilung spräche dafür, ihm positive Seiten abzugewinnen.

Doch das gelingt eben nicht wirklich, wie das Gedankenspiel zeigt: Mit dem richtigen – oder zumindest besseren – Kandidaten hätten die Republikaner leichtes Spiel gegen den Demokraten gehabt. Aber Romney wechselte mehrmals seine inhaltlichen Positionen und konnte bis zuletzt nicht klarmachen, wie er den US-Kahn wieder flottbekommen will. Genau in diesem Punkt wird Mr. Change unterschätzt: Obama hat die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise so schlecht nicht gemeistert. Wenn er nun Ernst machte und etwas gegen das horrende Budgetdefizit unternähme, ist er sicher nicht auf dem falschen Weg.

Auf der Habenseite sehen die britischen Kollegen übrigens etwas, worüber die rosafarbene Europa-Fraktion nicht so gern spricht, wenn es um Obama geht: Im Kampf gegen den Terrorismus war er erfolgreich. Die Ausschaltung Osama bin Ladens war ein Erfolg für die USA und machte die Welt tatsächlich sicherer – ein fairer Prozess hätte sie auch gerechter gemacht.

Der nächste US-Präsident wird vor allem an einem außenpolitischen Krisenherd alle Erfahrung, Entschlossenheit und Diplomatie brauchen: Es gilt auf politischem oder militärischem Weg zu verhindern, dass der Iran einsatzbereite Atomwaffen entwickelt. Die Bedrohung, die vom Regime in Teheran ausgeht, gefährdet nicht nur Israel, sondern auch Europa. Einige Aussagen und Aktivitäten Obamas, der weit weniger außenpolitischer Staatsmann ist, wie etwa George Bush senior war, lassen befürchten, dass er lieber auf Appeasement denn auf notwendige Abschreckung setzt. Obama hat seine anfängliche Distanzierung zum Verbündeten Israel zwar inzwischen aufgegeben. Dass Romney wohl ein besserer Schutzherr des jüdischen Staates wäre, wissen die Israelis seither aber nur zu gut.

Für Europa ist die Wahl in jedem Fall keine schlechte, weil so oder so beruhigend: Der künftige Chef der amerikanischen Streitkräfte wird weiterhin für die Sicherheit sorgen, auf die sich die Europäer bei all ihren Gipfeln nicht einigen können. Und auch wenn etwa der „Spiegel“ schon vom „amerikanischen Patienten“ und dem Niedergang einer großen Nation schreibt: Auch im Wirtschaftskrieg gegen die Japaner in den 1980er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde bereits das Sterbeglöckchen für die USA geläutet, die 1990er und folgenden Nullerjahre des neuen Jahrtausends – mit kleinen Abstürzen dazwischen – belehrten uns eines Besseren. Vor allem: Bevor die USA im Krankenbett entschlummern, würde wohl dem Hochfieberkontinent Europa die Luft ausgehen. Die internationalen Finanzmärkte, die frei nach Frank Stronach die Regeln machen, sehen die Lage vor unserer Haustüre weit ernster. Und vor dieser effizient zu kehren fällt unseren Krisenmoderatoren, so called Regierungschefs, schwerer als der süffisant-gönnerhafte Blick hinüber.

E-Mails an: rainer.nowak @diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2012)

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