Partys, Pappfiguren, Propheten und Prognosen

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Die Wahlnacht war rasch entschieden. In Washington feierten Obama-Anhänger dessen Wiederwahl. Fans sind unter Trommelwirbel zum Weißen Haus gezogen. Die Gegner versanken in Trauer.

Washington. Zwischen Chips und Softdrinks stehen bei der Wahlparty des Foreign Press Center in Washington zwei lebensgroße Pappfiguren herum, und einer würde künftig die Geschicke der Supermacht lenken. So viel war gewiss. Ob dies weiterhin Barack Obama sein würde oder doch Mitt Romney, wissen am frühen Wahlabend, als die Wahllokale von der Ost- bis zur Westküste noch geöffnet sind, jedoch die allerwenigsten.

Auf der Basis von Exit-Polls, von Wählerbefragungen nach dem Urnengang, wagt John Zogby bereits eine Prognose. Der Meinungsforscher legt sich fest: Der Präsident werde mindestens 290 Wahlmännerstimmen auf sich vereinigen und einen Löwenanteil der Swing States für sich entscheiden.

Am Vorabend des Wahltags hatte sich schon Bob Dylan in der Kunst der Prophetie geübt. Obama werde einen Erdrutschsieg einfahren, verkündete die zauselige Musiklegende in einem höchst raren politischen Orakel nur Stunden nach einem Wahlkampfauftritt des Duos Obama/Springsteen bei einem Konzert in Madison. Und auch der Präsident und seine Sprachrohre spürten, dass sich der Trend auf ihre Seite geschlagen hatte. Bei seiner allerletzten Wahlkundgebung in Des Moines in Iowa, einer sentimentalen Angelegenheit, kullerte dem Präsidenten eine Träne über die Wange.

Obamas Wahltagsritual: Basketball

Anderntags hielt er am Wahltag an einem Ritual fest: ein Basketball-Match mit dem All-Star-Team des Weißen Hauses, das sein ehemaliger Assistent Reggie Love in Chicago einberufen hatte. In zahlreichen Kurzinterviews und nicht zuletzt in einer Glückwunschbotschaft an seinen Rivalen Romney zu dessen engagierter Wahlkampagne versprühte Obama Zuversicht und die gönnerhafte Großzügigkeit eines Siegers.

Im Lager der Republikaner schwand der wacker zur Schau getragene Zweckoptimismus. Selbst Karl Rove, der Wahlkampf-Mastermind George W. Bushs, und Dick Morris, ein „konvertierter“ Exberater Bill Clintons, überkamen Zweifel an ihren kühnen Voraussagen. Weil sich Rove bis zuletzt nicht mit einem Wahlsieg Obamas abfinden wollte, schüttelten sogar die Moderatoren des stramm konservativen Nachrichtensenders Fox News den Kopf.

Als Analytiker und Kolumnist des „Wall Street Journal“ steht Rove im Solde des Rupert-Murdoch-Imperiums. „Decision Day“ titelte das Blatt, wie auch ein Dutzend anderer Zeitungen, die an der Glasfront des Newseum täglich ausgehängt werden: „Tag der Entscheidung“. Anderntags lauteten die Schlagzeilen dann „Obamas Nacht“ („New York Times“) und „Eine zweite Amtszeit“ („Washington Post“). In der Wahlnacht hatte die Onlinezeitung „Politico“, Stammlektüre der Washingtoner Insider, zur Wahlparty ins Medienmuseum geladen – die begehrteste Einladung der Hauptstadt. Vor dem Eingang staute sich das Jungvolk: Anwälte, Diplomaten, Kongressmitarbeiter, Lobbyisten.

Die Dachetage des Newseum war in drei Bereiche separiert: blau für Demokraten, rot für Republikaner und weiß für Unentschlossene. Überall prangten TV-Monitoren, und mittendrin moderierten die Journalisten Jim Vandehei und Mike Allen bei ohrenbetäubendem Lärm den Wahlabend. Von der Terrasse bot sich ein Logenblick auf das zweite Machtzentrum Washingtons: Unter einem klaren Nachthimmel leuchtete die Marmorkuppel des Kapitols im Scheinwerferlicht.

Die übergroße Mehrheit der Partygäste drängt sich bei den Demokraten. Als Claire McCaskill das Duell um den Senatssitz von Missouri gegen den dezidierten Abtreibungsgegner Todd Akin gewinnt, brandet der Applaus junger Frauen auf. Als der Bundesstaat Pennsylvania blau eingefärbt wird, ruft Riccarda Torriani „Yeah“. „Als Schweizerin müsste ich ja eigentlich neutral sein“, beteuert die Diplomatin halbherzig.

Und als die TV-Sender schließlich kurz nach elf Uhr Obama unisono zum Wahlsieger proklamieren, bricht frenetischer Jubel aus. Hände gehen in die Höhe, im Stakkato skandieren die Fans „Four more years“. Der junge Schwarze an der Bar im T-Shirt mit Obamas „Hope“-Logo von 2008 und der roten Pudelmütze lächelt versonnen. Nur die Laune der republikanischen Parteigänger, von Stunde zu Stunde sukzessive gefallen, sinkt schlagartig ins Bodenlose. Ein stämmiger Irak-Veteran mit Sternenbanner-Krawatte setzt zu einem tiefen Zug aus der Bierflasche an, die Gesichtszüge der jungen Lobbyistin Ellen verfallen. Sie wimmert: „Ich habe den Glauben an mein Land verloren.“

Im Eselskopf vors Weiße Haus

Unten an der Pennsylvania Avenue ertönt ein Hupkonzert. „Obama“, schreien die Fans in die Nacht, während der Präsident in Chicago samt Familie auf die Bühne springt, um seine Siegesrede zu halten. Eine halbe Stunde zuvor gestand Mitt Romney in Boston nach langem Zuwarten seine Niederlage ein – so will es das Wahlritual.

In Washington sind die Fans unter Trommelwirbel derweil zum Weißen Haus gezogen, einer im Halloween-Kostüm des Eselskopfs – des Parteisymbols der Demokraten. Inbrünstig intoniert eine Gruppe die Nationalhymne. Anders als vor vier Jahren ist die Euphorie aber rasch wieder verflogen. Die Gitterstäbe des Präsidentensitzes sind zudem durch Barrikaden abgeriegelt. Der Aufbau der Holztribüne für die Inaugurationsfeiern am 20.Jänner hat schon begonnen, Obama hat keine Zeit zu verlieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2012)

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