„Was bleibt“: Wochenende mit der schrecklich netten Familie

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Ein hartes Generationenporträt als beiläufige Variation auf klassische Tragödien: Lars Eidinger und Corinna Harfouch überzeugen im Kammerspiel von „23“-Regisseur Hans-Christian Schmid. Ab Freitag.

Nur ja keinen Streit, meint der älteste Sohn Marko (Lars Eidinger). Der feste Boden unter den Füßen, das ist das Wichtigste, erklärt die Mutter Gitte (Corinna Harfouch). Ein Familienwochenende am Land, im Bungalow der Eltern als Übung in Harmonie, Stabilität, Geborgenheit: Das sorgfältige Kammerspiel „Was bleibt“ von Hans-Christian Schmid („23“ , „Requiem“) ist ein ruhiger Film, weil seine Figuren zunächst einmal die Ruhe zum obersten Gebot erheben. Darunter steckt freilich die Krankheit, buchstäblich.

Zwischen frisch gepresstem Gemüsesaft und selbst gemachten Cannelloni erklärt Gitte nämlich kurzerhand, dass sie ihre Medikamente abgesetzt hat. Da ist der feste Boden unter den Familienfüßen weg: Der Vater (Ernst Stotzer), Erfolgsverleger, will nach dem profitablen Verkauf der Firma das Leben genießen, bald verreisen zur Recherche für ein Buch (Erzählstrategien bei den Assyrern und Sumerern – „hat noch niemand drüber geschrieben!“). Muss er daheim bleiben, falls die Gattin wieder in die Depression verfällt? Schließlich habe er sein Leben „in diese Ehe investiert!“. Die Beziehung als Geschäft: Jetzt will der Patriarch den Einsatz zurück (und mit einer anderen verreisen).

Der jüngere Sohn (Sebastian Zimmler) ist unter der Ägide des Vaters erfolgloser Zahnarzt geworden, während Bruder Marko sich zwar nach Berlin entzogen hat und als Schriftsteller nicht in Papas Verlag publiziert: Beide jedoch zweifeln an ihren Lebensentwürfen und haben Beziehungsprobleme. Ein hartes Generationenporträt des gehobenen Mittelstands aus einem Deutschland in der Krise, das sich der Krise gar nicht bewusst ist. Nur der Mutter wird plötzlich schmerzhaft klar, was man ihr (und einander) konsequent verschweigt: Das war „mit den Tabletten leichter zu ertragen, da kriegt man das nicht so mit.“ Seit 30 Jahren ist sie manisch-depressiv: Ein Leben, das man sich in Unglück und Konformität eingerichtet hat.

„Was bleibt“ ist im Prinzip eine klassische Familientragödie mit Anklängen an Ibsens „Puppenheim“: Anders als aufdringliche Modernisierungen wie „Das Fest“ setzen Schmid und Autor Bernhard Lange auf Beiläufigkeit. In der mitreißendsten Szene singt die Familie gemeinsam Charles Aznavours „Du lässt dich geh'n“: Mama lebt dabei auf – prompt übernimmt der Vater die Kontrolle. Das Gefangensein im unheimlichen Schwebezustand drinnen wird schließlich im mythisch aufgeladenen Wald gelöst: ins Freie. Schöner Film über schreckliche Tristesse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2012)

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