Philharmoniker zum Geburtstag: Semyon Bychkov

(c) AP THOMAS KOST
  • Drucken

Der russische Stardirigent feiert den 60. Geburtstag in Wien mit drei philharmonischen Konzerten im Musikverein. Mit der „Presse“ sprach Semyon Bychkov über seine Beziehung zu dieser Stadt.

„Ich wollte bei diesen Konzerten alle Stücke aufführen, die einen wesentlichen Teil meines musikalischen Lebens ausmachen, aber das ist unmöglich“, erklärt Semyon Bychkov das Programm seiner drei philharmonischen Konzerte im Musikverein: „So habe ich mich für drei Komponisten entschieden: Tschaikowsky als Repräsentant der Kultur, aus der ich komme und der Stadt, in der ich geboren wurde. Mozart für Wien und die Wiener Philharmoniker, und weil das Konzert für zwei Klaviere eine Gelegenheit ist, gemeinsam mit meiner Frau und ihrer Schwester aufzutreten. Und Wagner: Er spielt seit vielen Jahren eine wichtige Rolle in meiner Karriere.“

Dass Bychkov von Tschaikowsky just die fünfte Symphonie gewählt hat, ist auch kein Zufall. Mit ihr beschloss er im Sommer 2003 sein Debüt bei den Salzburger Festspielen, ebenfalls an der Spitze der Philharmoniker. Davor stand damals die Uraufführung eines Werks Christóbal Halffter: „Zwei Stile, die unterschiedlicher nicht sein könnten“, resümiert Bychkov: „Daran konnte ich die Offenheit des Orchesters erkennen. Ihnen geht es nicht um einen Stil, um ein Interpretationsmodell, sie wollen dasselbe wie ich: einen überzeugenden Ausdruck finden.“

Seine erste Begegnung mit den Wiener Philharmonikern hatte Bychkov knapp davor, zu Ostern 2003, beim Wiener Osterklang-Festival: Er dirigierte die H-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach. „Bachs Musik begleitet mich mein ganzes Leben“, sagt er: „In den letzten Jahrzehnten hat sich die Interpretation seiner Musik wesentlich gewandelt. Als die Philharmoniker bei mir anfragten, ob ich mit ihnen das Osterklang-Festival mit der H-Moll-Messe eröffnen würde, war ich vorerst neugierig, ob sie meinen Vorstellungen von Phrasierung, Artikulation und Klang folgen würden. Das war für mich die Voraussetzung für eine Zusammenarbeit, und sie zeigten sich sehr einverstanden.“

Seit zwei Jahren nicht mehr Chefdirigent

Mitte der Achtzigerjahre war Herbert von Karajan von einer Einspielung der Fünften Schostakowitschs von Bychkov mit den Berliner Philharmonikern so beeindruckt, dass er Bychkov als einen seiner möglichen Nachfolger für Berlin nannte. Daraus wurde nichts. Doch 30 Jahre lang hat der gebürtige St. Petersburger Positionen als Chefdirigent oder Erster Dirigent bekleidet: u. a. beim Orchestre de Paris, bei den St. Petersburger Philharmonikern, an der Dresdner Semperoper, zuletzt beim WDR Symphonieorchester Köln. Seit zwei Jahren ist er „nur mehr für Künstlerisches verantwortlich“, sagt er: „Das ist eine extreme Freiheit. Ich bringe meinen Kollegen die Musik, die ich ihnen nahebringen kann, sie geben mir auf bestmöglichem Niveau dasselbe.“

Die Möglichkeiten eines Chefdirigenten, sich als Erster alles aussuchen zu können, vermisst er nicht: „Ich habe zahlreiche Angebote und Personen, die mich bei der Realisierung der Projekte, die ich machen will, unterstützen.“ Eben hat er an der New Yorker Met Verdis Otello dirigiert. Am Königlichen Londoner Opernhaus Covent Garden und an der Pariser Oper wird er Produktionen der „Frau ohne Schatten“ leiten, später in London auch „Parsifal“ und „Eugen Onegin“.

„Kämpfen um jede einzelne Note“

Mit der Übernahme des Otto Klemperer Chair of Conducting an der Londoner Royal Academy of Music und dem Günter Wand Chair des BBC Symphony Orchestra London hat sich Bychkov bewusst für die Arbeit mit jungen Musikern entschieden. Auch während seiner Otello-Serie in New York musizierte er mit Studenten der renommierten Juiliard School. Kommende Saison wird er das Orchester der Wiener Musikuniversität mit Debussys „La Mer“ und der Alpensymphonie von Richard Strauss dirigieren. „Ich sehe die größte Verantwortung meiner Generation darin, den Jungen einen Standpunkt für Musik zu vermitteln. Wie wir alle werden sie ein Leben lang lernen. Sie sollen aber erkennen, dass es möglich ist, dies stets mit Enthusiasmus und Idealismus zu tun, mit Kämpfen um jede einzelne Note. Das ist die wichtigste Botschaft, die ich ihnen geben kann.“

1975 mit 100 Dollar in Wien gelandet

Noch älter als die Beziehung Bychkovs zu den Wiener Philharmonikern ist die zur Wiener Staatsoper. Dort ist er seit 1999 bisher mit je zwei Opern von Strauss („Elektra“ und „Daphne“) und Wagner („Tristan“ und „Lohengrin“) insgesamt 30-mal aufgetreten. 2014 soll an diese Zusammenarbeit mit einer Neuproduktion angeknüpft werden. Wobei es sich dabei genau handelt, will Bychkov nicht verraten. Dies gilt auch für die mit den Philharmonikern ins Auge gefassten Projekte: neben Konzerten und Tourneen auch eine Uraufführung. „Sehr glücklich“ ist er jedenfalls, dass ihn die Philharmoniker eingeladen haben, seinen Geburtstag mit ihnen zu verbringen. Schließlich spielt Wien eine wichtige Rolle in seiner Biografie. Er erzählt:

„Wien war die erste westliche Stadt, in der ich nach meiner Emigration aus St. Petersburg landete, mit 100 Dollar im Gepäck, denn mehr war nicht erlaubt. Ich erinnere mich noch genau: Ich kam am 5. März 1975 und verbrachte zehn Tage in der Stadt, ehe ich nach Italien weiterreiste, wo ich sechs Monate auf mein amerikanisches Visum wartete. Während meines Wien-Aufenthalts erkundete ich die Stadt zu Fuß. Wie durch Zufall kam ich einige Tage später zur Staatsoper.
Dort kündigte ein Plakat eine Vorstellung der neuen „Lohengrin“-Produktion, dirigiert von Zubin Mehta, an. Ich schaute den Leuten zu, die ins Theater strömten. Die Lichter gingen aus, die Türen schlossen sich, die Aufführung begann, und ich ging weg. 30 Jahre später stand wieder ein neuer Lohengrin auf dem Programm, wieder war ich da, diesmal am Dirigentenpult. Eine Geschichte, die zeigt, wie sich Dinge ändern können und Träume wahr werden.“

Das Geburtstagskonzert

Das Geburtstagskonzert Am 30. November, seinem 60. Geburtstag, dirigiert Semyon Bychkov die Wiener Philharmoniker im Musikverein. Auf dem Programm: Wagners „Tannhäuser“-Ouvertüre, Tschaikowskys Fünfte und Mozarts Konzert für zwei Klaviere und Orchester (KV 365) – Klavier spielen Bychkovs Frau, Marielle Labèque, und ihre Schwester Katia. Am 1. und 2. Dezember wird dieses Programm wiederholt. Schon am 28. November, 19 Uhr, stellt sich Bychkov im Wiener Haus der Musik den Fragen des Wiener Philharmoniker-Vorstands Clemens Hellsberg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.