Gotovina: "Will keine Zeit mit Vergangenheit vergeuden"

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Der freigesprochene kroatische Exgeneral Ante Gotovina erzählt, wie er im Haager Gefängnis seinen einstigen Feind, Serbenführer Milošević, traf, und spricht über die Zukunft Kroatiens in der Europäischen Union.

Wie haben Sie die Entlassung aus der Haft empfunden?

Ante Gotovina: Alles verlief äußert schnell. Ich ging in meine Zelle, um zu packen; der Kombi für den Transfer zum Flughafen wartete schon, ich fühlte mich wie ein normaler Mensch, der seinen Flug nicht verpassen möchte.

Viele Kroaten wollen Sie nicht nur als gewöhnlichen Bürger, sondern auch in der Politik sehen.

Ich möchte mich am öffentlichen Leben Kroatiens nicht beteiligen, weder in der Politik noch in der Armee. Ich bin durch Zufall Soldat geworden. Ich mag den Krieg nicht. Als junger Soldat, Ende der Siebziger- und Achtzigerjahre, wusste ich noch, den Feind zu hassen; immer habe ich mich aber an die Regeln gehalten. Dieser Hass, den ich nicht brauchte, plagte mich, ich litt, weil er meine Seele vergiftete. Der Feind ist auch nur ein Mensch. Mit der Zeit ist es mir gelungen, dieses Gefühl von der Pflicht zu trennen, den Feind zu besiegen. Mein Glaube hat mir dabei geholfen, ich habe gelernt zu vergeben. Man soll den Feind militärisch besiegen, ohne ihn als Menschen zu erniedrigen, denn damit würde man auf die eigene Menschlichkeit verzichten. Als wir angegriffen wurden, hatten wir keine Zeit für Pädagogik, wir mussten eine Armee aufbauen. Heute ist die Situation anders. Unsere Soldaten haben heute militärische Ausbildung und Erfahrung aus dem Heimatkrieg und genießen in der Nato hohes Ansehen.

Exklusiv-Interview

Gekürzte Version eines Interviews, das exklusiv in der kroatischen Tageszeitung „Večernji list“, einem Medium des Styria- Konzerns, erschienen ist. Es ist das einzige Interview mit Ante Gotovina nach seinem Freispruch in Den Haag.

www.vecernji.hr

Viele waren überrascht, als Sie der Familie von Slobodan Milošević (dem ehemaligen serbischen Machthaber) Ihr Beileid ausgesprochen haben, als er in Den Haag im Gefängnis gestorben ist.

Das war eine christliche Geste. Mit dieser Tat wurde manipuliert und politisiert, die Wahrheit sieht so aus: Ich habe der Familie mein Beileid ausgesprochen, weil Milošević an derselben Stelle war wie ich. Weder ich noch er wollte dort sein. Wir lebten Zelle an Zelle. Jeden Morgen zur gleichen Zeit konnten wir hören, wie die Türen der Zellen geöffnet wurden; das erste Gesicht, das ich morgens erblickte, war sein Gesicht. Wir gingen gemeinsam zum Rasieren, ich trank meinen Kaffee, er trank seinen. Eines Morgens war Milošević tot. Es ist menschlich, der Familie dessen, der neben dir gestorben ist, Beileid auszusprechen.

Worüber haben Sie sich mit Milošević unterhalten?

Niemals über Politik oder Krieg, sondern über Kunst, Sport, Literatur. Wir haben uns beispielsweise über die Werke von Ernest Hemingway unterhalten, den wir beide mochten. Am wichtigsten war es, die negative Energie loszuwerden, die durch den engen Raum bedingt war, in dem wir uns befanden. Der gesunde Menschenverstand, aber auch die dortigen Regeln haben Gespräche nicht zugelassen, die zu Konfliktsituationen führen konnten.

Die kroatischen Generäle sind freigesprochen worden. Trotzdem stellt sich weiterhin die Frage der Strafverfolgung der Verbrechen aus der Operation „Sturm“ (kroatische Operation zur Rückeroberung der „Krajina“).

Ich verstehe den Sinn Ihrer Frage nicht. Mit Gesetzen sind die Verpflichtungen der staatlichen Institutionen in solchen Fällen eindeutig festgelegt. Wer bin ich, den Institutionen zu sagen, wie und ob sie ihre Arbeit verrichten sollen?

Glauben Sie jetzt, nach allem, dass es richtig war, nach der Anklageerhebung in Den Haag abzutauchen?

Ich möchte keine Zeit mit Fragen aus der Vergangenheit vergeuden. Zwölf Jahre lang war ich unschuldig in der Vergangenheit eingefangen. Mein Blick ist jetzt fest auf die Zukunft gerichtet. Ich verstehe Ihr Interesse für bestimmte Fragen, bitte aber die Öffentlichkeit und die Medien, meine Einstellung zu akzeptieren: Damit möchte ich mich jetzt nicht befassen.

Carla del Ponte, die ehemalige Chefanklägerin des Haager Kriegsverbrechertribunals, behauptete gegenüber „Večernji list“, Sie wollten sich nicht mit ihr treffen, als sie Ihnen angeboten hat, Sie im Gefängnis zu besuchen.

Carla del Ponte hat vor Erstellung des Strafantrags weder ein Gespräch mit mir verlangt, noch hat sie dies meinen Anwälten vorgeschlagen. Nachdem ich in Den Haag eingetroffen bin, hat sie ein Treffen angefordert, dabei aber inakzeptable Bedingungen gestellt.

Welche Bedingungen waren das?

Die Gesprächsthemen, die sie vorgeschlagen hat, hatten mit meinem Prozess nichts zu tun.

Hatten sie etwas mit Kroatien zu tun?

Nein.

Hatten sie mit dem Vatikan zu tun?

Sie standen in keinerlei Verbindung mit meiner rechtlichen Angelegenheit, deshalb war ich nicht gewillt, ihre Bedingungen zu akzeptieren. Diesen Beschluss haben auch meine Anwälte unterstützt.

Aus der Masse von hunderttausend Versammelten auf dem Zagreber Hauptplatz „Ban Jelačić“ waren Buhrufe zu hören, als Sie sich nach Ihrer Rückkehr beim Präsidenten, dem Premierminister und den Institutionen des kroatischen Staates bedankten.

Wir haben gekämpft und sind gefallen für unser Land, und für den Aufbau der Institutionen unseres Staates. Es wäre unaufrichtig, sie jetzt nicht zu respektieren. Der Staat ist wie ein Schiff. Das wäre, als ob die Passagiere und die Mannschaft den Kapitän auspfeifen, dessen Aufgabe es ist, das Schiff zu steuern. Er steuert das Schiff so, wie die Institutionen den Staat führen. Die Züge dieser Institutionen können gut oder schlecht sein. Wir freuen uns über jeden guten Zug – so, wie uns auch jeder schlechte traurig stimmt. Ein Befehlshabender, Kapitän oder politischer Führer ist nichts ohne das Zusammenwirken mit den Menschen, dem Volk. Das ist diese Energie. Das ist ein Umfeld, in dem man gute Entscheidungen trifft. Die Mehrheit soll auf der Grundlage des besten angebotenen Programms bei jeder Wahl entscheiden, wer Befehlshabender sein und die Institutionen führen wird.

Sie haben die Kroaten aufgefordert, beim kommenden Referendum für den Beitritt des Landes zur EU zu stimmen.

Ja. Ich war von Anfang an und bin immer für den Beitritt Kroatiens zur EU. Wir haben sichere Grenzen. Unsere Nachbarn, Bosnien und Herzegowina, Serbien und Montenegro, sollen morgen auch Teil der EU werden. Die Europäische Union ist ein mächtiger Klub. So klein die Kroaten als Volk auch sein mögen, Mitglied der EU zu sein ist ein Privileg. Auch kleine Völker leisten ihren Beitrag, geben positive Energie. Geistig, kulturell und geografisch gehören wir schon der EU an. Dabei ist es wichtig, von der Größe der anderen nicht beeindruckt zu sein und unter keinem Minderwertigkeitskomplex zu leiden. Unser Staat hat den Weg des Beitritts zur UNO und zur Nato zurückgelegt, und bald werden wir vollwertiges Mitglied der Europäischen Union sein. Wir waren auf diesem Weg erfolgreich. Vor allem junge Leute haben keine Komplexe, und sie sind unsere Zukunft.

Sind die Kroaten in der Lage, eine gute Wahl zu treffen? Seit den Neunzigerjahren haben sie Franjo Tudjman, Stipe Mesić,... gewählt.

Sie wurden von der Mehrheit gewählt. Das ist Tatsache. Offensichtlich hat das kroatische Volk mit dem ersten Präsidenten, Franjo Tudjman, der den Zeitraum des Aufbaus des kroatischen Staats angeführt hat, eine gute Wahl getroffen. Die Demokratie ist aber eine Art Schule, sodass man die Wahlen immer verantwortungsbewusster angeht. Unsere Bürger konzentrieren sich bei den Wahlen immer mehr auf das Wesentliche, auf die Programme der Kandidaten und Parteien. Das ist der demokratische Reifeprozess. Wenn man nicht zufrieden ist, hat man bei den nächsten Wahlen Gelegenheit, sich anders zu entscheiden, bis dahin unterstützt man die Institutionen seines Staates.

Sind Sie persönlich von Ex-Präsident Stipe Mesić und Ex-Premier Ivo Sanader enttäuscht?

Mit ihnen möchte ich mich nicht befassen.

Und zu den politischen Ereignissen in Kroatien werden Sie auch nicht Stellung nehmen?

Keinesfalls. Ich respektiere die Wahl der Mehrheit. Das ist Demokratie; dabei ist es nicht wichtig, wie viele Mandate jemand gewonnen hat. Sehen Sie, mein Freund und Mitkämpfer Ante Kotromanović ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und Verteidigungsminister in der regierenden Koalition. Zugleich ist auch mein Freund General Krstičević Mitglied der Kroatischen Demokratischen Gesellschaft (HDZ), genauso wie mein Freund Željko Dilber. Das ist eben Demokratie. Ich wiederhole, ich respektiere den Beschluss der Mehrheit.

Der kroatische Staat hat Ihnen den Rücken gestärkt?

Natürlich, ich habe schon gesagt, dass dies ein gemeinsamer Sieg ist. Allein wäre ich nicht in der Lage gewesen , eine so komplexe Verteidigung zu finanzieren.

Aber in diesem Staat haben sich der Fall Sanader und Korruption ereignet.

Darüber möchte ich nicht sprechen.

Die Operation „Sturm“ und Ante Gotovina

Kroatien. In der Heimat wird der Exgeneral nach dem Freispruch gefeiert, in Serbien ist man darüber erbost.

Juni 1991. Kroatien erklärt sich für unabhängig. Schon zuvor gab es bewaffnete Zusammenstöße mit Serben, nun herrscht offener Krieg mit der jugoslawischen Volksarmee. Beim Waffenstillstand im Frühjahr 1992 ist ein Drittel Kroatiens in serbischer Hand.

Mai 1995. In der Operation „Blitz“ erobert die kroatische Armee Westslawonien zurück, etwa 20.000 Serben fliehen.

4. August 1995.In den frühen Morgenstunden beginnt die Operation „Sturm“, einer der kommandierenden Generäle ist Ante Gotovina. Kroatische Verbände greifen die ebenfalls von Serben gehaltene Krajina an. Am vierten Tag ist die Operation abgeschlossen. Das Gebiet ist wieder unter kroatischer Kontrolle. Rund 200.000 Serben flohen aus dem Gebiet. Juli 2001. Das internationale Jugoslawien-Tribunal in Den Haag erlässt einen Haftbefehl gegen Ante Gotovina wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, der General taucht daraufhin ab.

Dezember 2005. Gotovina wird auf der spanischen Insel Teneriffa festgenommen und an das Haager Jugoslawien-Tribunal ausgeliefert. Kroatien steht damit der Weg zu Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union offen.

15. April 2011. Das Tribunal verurteilt Gotovina in erster Instanz zu 24 Jahren Haft, in Kroatien gibt es Massenproteste gegen das Urteil.

16. November 2012. In zweiter Instanz wird Gotovina freigesprochen. Diesmal feiern die Massen auf den Straßen Zagrebs und in anderen kroatischen Städten. Ante Gotovina kehrt in seine Heimat zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2012)

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