Nichts gelernt: Präsident Mursi agiert ähnlich wie sein gestürzter Vorgänger.
In Ägyptens säkularen Kreisen geht derzeit der Spruch um, nun komme langsam zum Vorschein, was sich hinter dem Bart des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi verberge. Sprich, er und sein Lager würden endlich ihr wahres Gesicht zeigen – dass ihr Ziel nicht ein demokratisches, sondern ein autoritär-islamistisches Ägypten sei. Tatsächlich scheint Demokratie für die Muslimbrüder vor allem zu bedeuten, ihre Vorstellungen von Staat und Gesellschaft kompromiss- und rücksichtslos durchzusetzen.
Noch etwas kommt hinter Mursis Bartstoppeln zum Vorschein: ein Staatschef, der das Gespür verloren hat, was im Volk vor sich geht. Der sich pharaonische Vollmachten genehmigt und nur zu minimalen Zugeständnissen bereit ist, die den Forderungen der Straße nicht einmal im Ansatz genügen. Klingt irgendwie bekannt, oder? Die Geschichte scheint sich zu wiederholen: Mursi wirkt wie die Farce zur Tragödie Mubarak. Eine Farce, die allerdings ihrerseits das Zeug zur Tragödie hat.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2012)