Der Union Jack entzweit eine sensible Gemeinschaft in Nordirland

Die britische Flagge reklamiert ziemlich unterschiedliche Heilige für sich: Märtyrer, Missionar und Drachentöter. Das sorgt naturgemäß immer wieder für Kontroversen.

Drei Heilige überkreuzen sich symbolisch auf der britischen Flagge, über die seit vergangenem Advent in der nordirischen Hauptstadt Belfast ein wilder Streit ausgebrochen ist, weil sie vor dem Rathaus nun nicht mehr täglich weht, sondern nur noch zu festlichen Gelegenheiten gehisst wird: Georg, Andreas und Patrick – Männer, die für ritterliche Wehrhaftigkeit oder gar für Märtyrertum in der Christenheit vielerorts verehrt werden. Weil Flagge zeigen oft mit Patriotismus oder gar Nationalismus zu tun hat, wundert es nicht, dass es in Nordirland derzeit im Zeichen so vieler verwirrender Kreuze besonders militant zugeht.

Auf dem volkstümlich als Union Jack bezeichneten Tuch wird der kämpferische Sankt Georg, legendärer Drachentöter und Schutzpatron der Engländer (aber auch der Serben und Tiroler), durch ein rotes Kreuz auf weißem Grund geehrt. Der altehrwürdige Apostel Andreas, Bruder des Petrus, vertritt durch ein weißes Kreuz auf blauem Grund die Schotten, die behaupten, seit 300 nach Christus Reliquien des Märtyrers zu besitzen. Sankt Patrick schließlich, der Schutzheilige der Iren und angeblich erster Missionar auf der grünen Insel, verstärkt diese Diagonale durch weitere rote Balken.

Das Ganze nennt sich Royal Union Flag und demonstriert, dass drei einst selbstständige Königreiche seit James I. mehr oder weniger zusammenwachsen. Dieser Stuart hatte zuvor als König James VI. Schottland regiert, ehe er 1603 als Nachfolger der letzten Tudor-Königin, Elizabeth I., England erbte und damit auch Irland unter seine Krone zwang.

Der Zusammenschluss, der als Personalunion begann, brauchte in symbolischer Form einige Zeit. 1606 wurden die seit dem 16.Jahrhundert verwendete schottische und die englische Flagge kombiniert. Die Zusammenlegung der beiden Parlamente erfolgte erst 1707 durch den entsprechenden Act of Union. 1801 kam mit einem kurz zuvor beschlossenen weiteren Vereinigungsgesetz noch die irische Komponente dazu. Von da an konnte man von einem Vereinigten Königreich Großbritannien und Irland sprechen, das sich bis ins vorige Jahrhundert gehalten hat.

In Irland aber, besonders im britischen Norden, führt dieser rot-weiß-blaue Jack, der die Union aller Briten illustriert, ständig zu Zwist. Für die der Krone treuen Untertanen in Ulster ist die Flagge aus London ein Zeichen der Hegemonie, das ständig wehen muss. Niemals wollen sich die Unionisten den Republikanern unterwerfen, die von einem vereinigten Irland träumen. Deshalb veranstalten sie auch zu allen möglichen und unmöglichen Gedenktagen Paraden in knalligem Orange, um offensiv daran zu erinnern, wer in sechs einstigen Grafschaften Ulsters, die heute noch zum UK gehören, das Sagen hat: Jack, nicht Paddy. Militante Republikaner hingegen leiden noch immer darunter, dass ihr Land nach dem anglo-irischen Krieg 1921 geteilt wurde.

Der Konflikt zwischen den (vorwiegend unionistischen) Protestanten und (vorwiegend republikanischen) Katholiken hat drei Jahrzehnte lang, bis zum Friedensvertrag 1998, tausende Opfer gefordert. Heute aber, da Irland und Großbritannien sich gemeinsam in der Europäischen Union befinden, scheint solch ein gewalttätiger Flaggenstreit unzeitgemäß und absolut entbehrlich. Vielleicht sollte man den alten Jack, wie das schon öfters geschah, farblich erneuern: ein friedlicher kleiner Drache aus Wales für St.Georg, etwas Schwarz für die Briten aus Übersee und ein paar goldene Sterne für die Verbindung zum Kontinent würden einer großen Gemeinschaft gut stehen.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2013)

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