Eines der späteren Mordopfer dürfte dem Täter die Tür geöffnet haben. Es gibt keine Anzeichen auf ein gewaltsames Eindringen ins Kurdenzentrum.
Wie genau sich der Mordanschlag auf die Kurdenaktivistinnen Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Söylemez abgespielt hat, wird vorerst ein Rätsel bleiben. Eines dürfte, so gab die Polizei bisher bekannt, aber sicher sein: Zumindest eine der drei Frauen, die sich am Mittwochnachmittag im Kurdischen Informationszentrum in der Rue Lafayette nahe des Pariser Nordbahnhofs aufgehalten hatten, dürfte den bisher unbekannten Attentätern die Tür geöffnet haben – Spuren eines gewaltsamen Eindringens gibt es nämlich nicht.
Der oder die Täter müssen jedenfalls ziemlich professionell vorgegangen sein, denn alle drei Frauen wurden vermutlich gegen 15 Uhr durch gezielte Schüsse aus der Nähe in Stirn und Nacken regelrecht exekutiert. Zudem dürften die Täter Waffen mit Schalldämpfern benutzt haben, denn von den Nachbarn will niemand etwas von den Schüssen gehört haben.
Die Tat flog auf, nachdem Bekannte und Angehörige der drei Frauen im Laufe des Abends immer besorgter geworden waren, weil bei Anrufen niemand im Kurdenzentrum ans Telefon ging. Darauf fuhren mehrere Kurden am späten Abend dorthin und fanden die Eingangstür verschlossen – und Blutspuren. Man habe dann die Tür aufgebrochen und am Donnerstag gegen ein Uhr früh die drei Leichen gefunden, erzählte Mehmet Ulker, der Vorsitzende der Föderation der Kurdenvereine in Frankreich („Feyka“).
Am Vormittag traf der französische Innenminister Manuell Valls am Tatort ein und erklärte, es habe sich um eine politisch motivierte Hinrichtung gehandelt; es sei für Frankreich „unerträglich“, dass sich auf seinem Territorium ein solcher Mordanschlag ereignen könne. Der Minister hat neben der Kriminalpolizei auch die Antiterrorabteilung und den Geheimdienst eingeschaltet, Näheres zu den Mutmaßungen über die Täter wollten weder er noch andere Regierungsvertreter sagen.
Kurden kritisieren Behörden
Die französische Kurdenvereinigung (in Frankreich leben etwa 200.000 Kurden) kritisierte unterdessen die Behörden: Es sei „empörend“ und „verdächtig“, dass es zu dem Anschlag kommen konnte, obwohl das kurdische Zentrum und die Anschlagsopfer selbst wegen ihrer politischen Vergangenheit und Zugehörigkeit zur PKK, die in der EU immerhin als Terrororganisation eingestuft ist, von der französischen Polizei überwacht oder beschattet worden seien.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2013)