Von der Software zum Saatgut

RAG
  • Drucken

Die Prinzipien der digitalen Nachhaltigkeit auch in anderen Sektoren angewendet werden – beispielsweise, wenn Saatgut zur Open Source wird.

Digital nachhaltige Software-Produkte und Wissensgüter müssen letztlich der nachhaltigen Entwicklung im Sinn der Nachhaltigkeitsziele dienen. Dass die Prinzipien der digitalen Nachhaltigkeit auch in ICT-fremden Sektoren angewendet werden können, um digital nachhaltige Gemeingüter zu schaffen, zeigt sich an Anwendungsbeispielen wie der Tomatensorte Sunviva. Deren Haut ist weich, der Geschmack aromatisch, fruchtig und süß und die Früchte sind erstaunlich platzfest. Was die Freilandtomate aber wirklich besonders macht, ist der Umstand, dass sie im Jahr 2017 ihre Sortenzulassung erhielt und dabei die weltweit erste Tomate mit einer Open-Source-Saatgut-Lizenz war, entwickelt im Rahmen des ökologischen Freiland-Tomatenprojekts der Universität Göttingen.

Der Hintergrund: Bauern und Gärtner dürfen von lizenziertem Gemüse und Getreide keine Samen für die nächste Aussaat gewinnen – und müssen es somit immer wieder neu kaufen. Das spielt jenen Agrarkonzernen in die Hand, die Saatgut privatisieren, indem sie Patente und Sortenschutz geltend machen. Mittlerweile kontrollieren wenige Konzerne den Großteil des kommerziellen Saatgutmarktes. Der freie Zugang zu Zuchtmaterial wird damit immer weiter eingeschränkt und die Landwirtschaft zunehmend einheitlicher.

Lang war es nicht möglich, Saatgut rechtlich als Gemeingut zu schützen. Mit einer europäischen Initiative mit Sitz in Deutschland hat sich das nun geändert. So hat eine Arbeitsgruppe des Vereins zur Förderung der standortgerechten Landnutzung, Agrecol, bestehend aus Agrarwissenschaftlern, Juristen und Pflanzenzüchtern, dazu beigetragen, das in der IT bekannte Open-Source-Prinzip auf das Saatgut landwirtschaftlicher Kulturpflanzen zu übertragen.

Lizenz für Ernährung

Entstanden ist in diesem Zuge mit OpenSourceSeeds (OSS) ein neuer Dienstleister, der Pflanzenzüchter, Saatgutvermehrer und Landwirte dabei unterstützt, neu entwickelte Sorten vor Patentierung zu schützen, als Gemeingut zu nutzen und auch als solches zu erhalten. Die OSS-Lizenz baut auf drei Regeln auf. Erstens dürfen alle Open-Source-Saatgut nutzen, also anbauen, vermehren, züchterisch bearbeiten sowie im Rahmen bestehender Gesetze verkaufen, tauschen und verschenken. Zweitens darf niemand das Saatgut und seine Weiterentwicklungen privatisieren, Patent- und Sortenschutz sind also ausgeschlossen. Und drittens werden zukünftigen Empfängern die gleichen Rechte und Pflichten übertragen. „Wir schützen Saatgut als Gemeingut für alle. Mithilfe der Open-Source-Saatgut-Lizenz bauen wir einen eigentumsfreien, gemeinnützigen Saatgutsektor auf. Wir wollen ihn neben dem privaten als zweite Säule der Saatgutversorgung etablieren“, sagt OSS-Teamleiter Johannes Kotschi.

Mittlerweile haben sich ganze Städte der Initiative verschrieben, zum Beispiel die Open-Source-Saatgut-Stadt Dortmund, deren Etablierung das erste Projekt aus dem Handlungsfeld Landwirtschaft und Ernährung des deutschen, städtischen Klimaschutzprogramms Klima-Luft 2030 darstellt. Ziel der bürgerschaftlich getragenen Initiative der Open-Source-Saatgut-Stadt Dortmund ist es, jährlich ein Kilogramm Open-Source-Tomaten-Saatgut für einen lebenswerten Planeten zu produzieren. Bis zu 400.000 Euro kostet übrigens ein Kilogramm Saatgut gelber Cherrytomaten. Zum Vergleich: Ein Kilogramm Gold kostet zurzeit ca. 59.000 Euro. Anders als Gold hat das Saatgut zudem den Vorteil, perspektivisch zur Ernährung beitragen zu können.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.