Morgenglosse

Pflaster statt Medizin für Europas Asylmalaise

Bootsmigranten, die am 30 Mai von der spanischen Küstenwache vor Gran Canaria aufgelesen wurden.
Bootsmigranten, die am 30 Mai von der spanischen Küstenwache vor Gran Canaria aufgelesen wurden.Reuters / Borja Suarez
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Die EU-Innenminister bekämpfen mit ihrer Einigung vom Donnerstag die Symptome, nicht aber die Ursachen der Asylkrise Europas.

Europa hat drei Hauptprobleme mit Asyl und Migration. Erstens wollen zu viele Menschen hinein, als es nach Ansicht der gesellschaftlichen Mehrheiten tragbar wäre. Zweitens verschärft sich dieses Problem, weil diese Migranten, ob asylberechtigt oder irregulär, sich nicht gleichmäßig über die 27 Mitgliedstaaten verteilen, sondern in die reichsten und dort vor allem in die Großstädte ziehen. Drittens ist es in der überwältigenden Zahl der Fälle unmöglich, rechtskräftig abzuschiebende, weil nicht asylberechtigte Ausländer der EU zu verweisen, weil ihre Herkunftsländer sie nicht zurücknehmen.

Weil seit Jahren Asyl und Migration verwischt wird, fallen viele Flüchtlinge, die wirklich internationalen Schutz vor Verfolgung bräuchten, um diesen um, während eine gezielte Steuerung der legalen Migration, an der ein alternder Kontinent wie Europa ein existenzielles Interesse haben muss, aus populistisch-fremdenfeindlichem Animus heraus verunmöglicht wird. Die faktische Unmöglichkeit, legal in die Union einzuwandern, führt wiederum zum Missbrauch des Asylwesens und zum Massensterben im Mittelmeer und in Nordafrikas Wüsten. Und so weiter, und so fort.

Karussell des Elends

Dieses Karussell des Elends versuchen Europas Politiker seit Jahren zu stoppen. Am Donnerstag ist den Innenministern der Mitgliedstaaten in Luxemburg zumindest ein kleiner Erfolg gelungen. Sie haben sich auf eine einheitlichere Organisation von Asylverfahren geeinigt, und sich insbesondere in bestimmten Fällen für deren verpflichtende Durchführung an der EU-Außengrenze ausgesprochen. Allen voran soll das für Menschen gelten, die aus Ländern stammen, deren Bürger in weniger als 20 Prozent der Fälle Asyl in der EU erhalten. Oder die durch ein als sicher geltendes Drittland gekommen sind.

Flüchtlingshilfsorganisationen warnen nicht zu Unrecht davor, dass hier das Recht auf internationalen Schutz untergraben zu werden droht. Denn auch wenn die meisten Menschen eines Landes kein Asyl in der EU erhalten, kann das im Einzelfall sehr wohl zutreffen. Aktuell wäre Tunesien ein anschauliches Beispiel. Bis vor Kurzem galt es noch als relativ sicher. Seit der autoritär-diktatorischen Wendung von Präsident Kais Saied samt rassistischer Hetzpolitik gegen Schwarzafrikaner ist diese Einschätzung fragwürdig. Es wird sich auch weisen, ob die EU-Staaten in der Lage sind, für die geschlossene Unterbringung dieser Menschen während der Prüfung ihrer Verfahren humane Unterkünfte zu schaffen - allen voran für Familien mit Kindern.

Von Asylverantwortung freikaufen

Der zweite Teil der Einigung der Minister vom Donnerstag ist aber dubios. Durch die Hintertür soll eine Art quotenmäßiger Verteilung von Asylwerbern von den EU-Staaten an der Außengrenze in jene organisiert werden, die kaum Flüchtlinge aufnehmen (konkret: jene in Mittelosteuropa, mit Ausnahme Österreichs). Das hat bisher nicht geklappt, und wird auch künftig scheitern, wie die Wortmeldungen der Regierungsvertreter Polens und Ungarns in der Debatte zeigten. Vor allem aber bietet ihnen die Einigung auf diese Verordnung für ein Asyl- und Migrationsmanagement eine günstige Möglichkeit, sich von der Verantwortung für die Aufnahme von Asylwerbern freizukaufen. Gerade einmal 20.000 Euro pro verweigerter Aufnahme sollen sie zahlen müssen.

Verglichen mit den weitaus höheren Kosten für Unterbringung, Verpflegung, medizinische Betreuung, Sozialhilfe, Sprachkurse, Berufsausbildung und sonstige Maßnahmen der Integration ist das eine Mezzie. Zum Vergleich: schon vor fünf Jahren hoffte die Kommission, mittels so eines „Fairnessmechanismus“ die Mittelosteuropäer zur Solidarität zu animieren. Damals war der Preis pro abgelehntem Asylwerber noch 250.000 Euro.

An den drei eingangs geschilderten Grundproblemen wird diese Einigung, so sie die Verhandlungen mit dem Europaparlament in dieser Form überstehen, kaum etwas ändern. Europa ist für viele Menschen ein anziehender Hoffnungsort: sei es, weil sie sich ein besseres Leben erarbeiten möchten, sei es, weil sie frei von Furcht leben wollen. Innerhalb Europas gibt es Orte, die gastlicher und zukunftsverheißender sind als andere. Und wer dennoch kein Recht zu bleiben hat, wird sich auch künftig energisch gegen die Abschiebung wehren. All das ist menschlich nachvollziehbar. Es konfrontiert Europa aber auch mit einem Missstand, den es möglicherweise nie wird abschaffen, sondern nur verkleinern können wird.

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