Interview

Markus Hengstschläger: „Fakten ändern sich ständig“

 Genetiker Markus Hengstschläger über die Wissenschaftsfeindlichkeit in Österreich.
 Genetiker Markus Hengstschläger über die Wissenschaftsfeindlichkeit in Österreich.Foto: Clemens Fabry
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Die Wissenschaftsfeindlichkeit in Österreich ist sehr hoch. Warum das so ist? „Die meisten Menschen wissen nicht, wie Wissenschaft funktioniert. Das hat die Pandemie gezeigt“, sagt der Genetiker Markus Hengstschläger: „Man muss es ihnen endlich erklären.“

Die Presse: Die Wissenschaftsskepsis ist in Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern besonders groß. Das zeigte die jüngste Eurobarometer-Studie und auch eine Umfrage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Ende 2022. Mit der Corona-Pandemie allein ist das wohl nicht zu erklären, oder?

Markus Hengstschläger: Eines vorweg: „Wissenschaftsskepsis“ ist nicht das ideale Wort, denn Skepsis ist in der Wissenschaft etwas Positives, etwas Notwendiges. Ich spreche daher von Wissenschaftsfeindlichkeit oder -ablehnung. Wissenschaftsfeindlichkeit gab es in Österreich schon immer, aber nach den Ergebnissen der letzten Eurobarometer-Umfrage steht Österreich besonders schlecht da. Auf die Frage: „Vertrauen Sie der Wissenschaft?“, „Spielt Wissenschaft in Ihrem Leben eine Rolle“ haben eine hohe Zahl der Befragten mit „Nein“ geantwortet. Das ist erschreckend. Ein bisschen versuchen wir uns hierzulande jetzt zu beruhigen, indem wir sagen: Diese Menschen stehen der Wissenschaft nicht feindlich gegenüber, sie ist ihnen „nur“ egal. Aber das beruhigt mich überhaupt nicht. Denn um eine Gesellschaft, der Wissenschaft egal ist, mache ich mir Sorgen. Darum muss etwas geschehen.

Was schlagen Sie vor?

Es bedarf in Österreich einer flächendeckenden Strategie, um den Wissenschaftsprozess in der Gesellschaft zu verankern. Wir müssen den Menschen endlich erklären, wie Wissenschaft funktioniert. Die Pandemie hat deutlich gezeigt, dass wir das in diesem Land verabsäumt haben. Die Wissenschaftskommunikation hat sich darauf beschränkt, die Fakten, also den aktuellen naturwissenschaftlichen Stand der Dinge, mitzuteilen. Aber das sollte der zweite Schritt sein. Denn erst wenn jedem klar ist, wie der wissenschaftliche Prozess funktioniert, kann man mit den präsentierten Fakten etwas anfangen und sie einordnen.

Mit „einordnen“ meinen Sie verstehen, dass sich Fakten jederzeit wieder ändern können?

Exakt. Es ist nun einmal so: wenn eine wissenschaftliche Publikation am Anfang der Woche herauskommt und etwas besagt, kann es sein, dass dieses Ergebnis ein paar Tage später durch neue Erkenntnisse ergänzt oder sogar korrigiert werden muss. Das ist völlig normal, das ist Teil der Wissenschaft. Wenn man aber nicht weiß, was eine wissenschaftliche Quelle ist, wie eine Recherche und eine Begutachtung abläuft oder was „peer reviewed“ heißt, reagieren viele mit Unverständnis oder sogar empört.

„Peer reviewed“ – erklären Sie den Begriff doch gleich einmal.

Das heißt, dass eine wissenschaftliche Arbeit, bevor sie publiziert werden kann, von Experten desselben Fachgebiets genau geprüft und begutachtet wird. Das kann bis zu einem halben Jahr dauern, denn oft fordern die Begutachter, dass etwas nachgereicht oder noch irgendwelche Experimente gemacht werden müssen.

Einerseits ändern sich wissenschaftliche Erkenntnisse laufend andererseits haben Menschen nun einmal das Bedürfnis nach Sicherheit. Sie wollen sich auf etwas verlassen können, gerade in Krisenzeiten. Insofern hatte es die Wissenschaft während der Pandemie besonders schwer, denn der Sars CoV 2 Virus war für alle Neuland.

Markus Hengstschläger
Markus HengstschlägerFabry

Das stimmt. Nur, wenn sich die Politik wissenschaftlicher Daten als Grundlage ihrer Entscheidungen bedient, muss sie wissen, dass sich diese Daten wieder ändern können. Aber genau an diesem Verständnis hat es gemangelt. Stattdessen hieß es: „Wir brauchen Fakten, die halten. Ihr Wissenschaftler könnt nicht laufend eure Meinungen ändern.“ Dabei war es gar nicht so, dass Wissenschaftler dauernd ihre Meinung geändert haben, sondern die Fakten haben sich geändert. Und das war nicht überraschend, denn wir wussten anfänglich nun einmal kaum etwas über Sars CoV2. Mit jeder Woche hat sich das Verständnis erweitert und auch verändert. Genau damit konnten aber auch große Teile der Bevölkerung nicht umgehen. Wie oft haben wir gehört: „Der Wissenschaft kann man nicht trauen. Die wissen alle nicht, was los ist.“ Das ist ein völlig falscher Schluss. Auf jedem Gebiet, das neu erforscht wird – wie etwa jetzt die Künstliche Intelligenz (KI) – dauert es, bis sich Fakten etablieren und durchsetzen. Ein Wissenschaftler, der sagt „So ist es und daran wird sich in Zukunft nichts mehr ändern“, ist keiner. Es gibt aber noch andere Gründe, weshalb Wissenschaft mit so viel Argwohn begegnet wird.

Und zwar?

In den Medien wird viel verzerrt dargestellt, auch das haben die Pandemie-Jahre gezeigt. In vielen Fragen war es so, dass sich 95 Prozent der Wissenschaftler einig waren. Nur eine kleine Minderheit vertrat eine andere Auffassung. Aber bei Talkshows war es fast immer so, dass die Vertreter der Mindermeinung genauso stark repräsentiert waren wie die der Mehrheitsmeinung. So entstand der Eindruck: „Da sitzen zwei Experten und nicht einmal die sind sich einig.“ Nur das entsprach nicht den Tatsachen, denn 95 Prozent waren sich sehr wohl einig. Ich fand und finde es sehr bedenklich, wenn Journalisten – egal ob im Fernsehen, Radio oder in Zeitungen – diese Verhältnisse nicht offenlegen, denn so entsteht ein völlig falsches Bild. Und noch etwas: Journalisten sollten viel konsequenter nach den Quellen fragen. Dann würde schnell offensichtlich, dass nicht jede Quelle dieselbe Qualität hat. Wenn sich bei einer Fernsehdiskussion ein Teilnehmer auf eine konkrete wissenschaftliche Publikation, bei der 250.000 Leute untersucht wurden, beruft, muss das ein anderes Gewicht haben, als wenn sich ein Diskutant auf eine Erfahrung der Großtante beruft. Das sofort aufzuzeigen wäre Aufgabe der Journalisten. Es kann doch nicht sein, dass die Geschichte der Großtante eine wissenschaftliche Publikation sticht.

Was können Wissenschaftler beitragen und besser machen, um das Vertrauen in die Wissenschaft wieder zu stärken?

Viel, wir müssen auch vor unserer eigenen Türe kehren. Wenn ein Wissenschaftler bei einer Diskussion aufgefordert wird zu erklären, warum er dies oder jenes behauptet, dann darf er seinem Gegenüber niemals vermitteln: „Weil ich eben gescheiter bin als du. Weil ich eben der Universitätsprofessor bin und du nur der Querdenker.“ Leider ist das immer wieder passiert, und zwar viel zu oft. Wir haben die Aufgabe, mit Wissen und Transparenz zu überzeugen, nicht überheblich oder polemisch zu sein. Und noch etwas: Ein Wissenschaftler muss bereit sein, zu dem zu stehen, was er gesagt hat und sich zitieren zu lassen – auch wenn seine Aussagen vielen Menschen nicht passt.

Stimmt. Genauso wenig darf es passieren, dass Wissenschaftler – unter anderem von Politikern – angefeindet und beschimpft werden, wenn sie ihre Meinung vertreten. Auch das ist passiert.

Das ist inakzeptabel, keine Frage. Auch dem Diskurs unter Wissenschaftlern hat es vielfach am nötigen Respekt gefehlt. Oft ging es nicht darum, sich sachlich über Fakten auszutauschen und voneinander zu lernen, sondern vielmehr, den anderen lächerlich zu machen und unglaubwürdig dastehen zu lassen. Damit erweist man der Wissenschaft keinen Dienst. Das führt nur dazu, dass sich jeder zurückzieht und in seiner Blase bleibt. Und das kann niemand von uns wollen.

Steckbrief

1968 wurde Markus Hengstschläger in Linz geboren. Er studierte Genetik an der Universität Wien. Danach absolvierte er einen Forschungsaufenthalt an der Yale University.

2004 wurde er zum Universitätsprofessor für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien berufen.

Seine Bücher „Die Macht der Gene“, „Die Durchschnittsfalle“ und „Die Lösungsbegabung“ wurden zu Bestsellern. Er ist Initiator und Leiter des Symposium „Impact Lech“, das von 15. bis 18. Juni zum zweiten Mal ebendort stattfinden wird. Das diesjährige Thema: „Der Mensch und die Maschine“

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