Culture Clash

Unser Vielvölkerstaat

Ausgehend von den immer religiöseren Postings der FP-Spitze: Worauf wird das Zusammengehörigkeitsgefühl in Österreich in Zukunft beruhen?

Zu Ostern waren es noch bloße Feiertagsgrüße mit Eiern. Seitdem sind Herbert Kickls Festtagspostings theologischer geworden. Zu Christi Himmelfahrt schrieb er etwa: „An diesem Tag feiern die Christen symbolhaft den Sieg Jesu über den Tod.“ Zehn Tage später: „Pfingsten ist für Christen das Fest des Heiligen Geistes, der alle Gläubigen erfüllt und miteinander verbindet.“ Und dann, vor drei Tagen: „Am Fronleichnamstag werden in ganz Österreich christliche Bräuche gelebt. Sie sind Ausdruck unserer abendländischen Werte, die wir heute mehr denn je verteidigen sollten, weil sie unsere Identität abbilden.“ Mehr als die Frage nach der tatsächlichen Frömmigkeit der FPÖ-Spitzen (Udo Landbauer postet Ähnliches), bewegt mich die Tatsache, dass sie bei der Formung ihrer Idee einer österreichischen Identität neuerdings bei dem Brauchtum auch auf dessen religiösen Kern Wert legen. Als Zielgruppenstrategie mag das funktionieren. Aber hat das Katholische in einer österreichischen Identität tatsächlich Bindekraft?

Mir fällt da die Szene in Joseph Roths „Radetzkymarsch“ ein, als dem Leutnant von Trotta (dessen Onkel „die Kirche, die Messe, die Zeremonie am Fronleichnamstag, den Klerus und den lieben Gott für Einrichtungen der Monarchie gehalten hatte“) nach dem Attentat von Sarajewo das Ende Österreichs klar wird: „Das Vaterland der Trottas zerfiel und zersplitterte. Daheim, in der mährischen Bezirksstadt W., war vielleicht noch Österreich. Jeden Sonntag spielte die Kapelle Herrn Nechwals den Radetzkymarsch. Einmal in der Woche, am Sonntag, war Österreich.“

Das Zerfallen und Zersplittern hat neue Brisanz, seit unser Land wieder zum Vielvölkerstaat wird. Schon ein Drittel aller Kinder unter zehn Jahren hat eine andere Muttersprache als Deutsch (in Wien an die 60 Prozent). In Wien und Linz gibt es mehr muslimische als katholische Pflichtschüler. Was wird dieses wachsende Völkergemisch innerlich zu einer Nation machen? Fronleichnam eher nicht. Oder das Neujahrskonzert? Die Erinnerung an Hugo Portisch, Hermann Maier oder Córdoba?

Ohne Zusammengehörigkeitsgefühl keine Solidargemeinschaft. Aber woher nehmen, wenn wir keine eigene gemeinsame Geschichte mehr haben? Die Abendlandsrhetorik der FPÖ ist ja auch nur ein rechtes Beispiel für die linke Opfergruppen-Ideologie: die Bildung einer Splitteridentität statt einer neuen Gemeinsamkeit. Aber haben andere hier mehr zu bieten als Ratlosigkeit? Die Frage will eine Antwort: Wenn wir das einigende Band „Österreich“ brauchen – was wird, was soll dieses „Österreich“ sein?

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

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