„Akzeptable Gewalt“

Eine Studie zu Gewalt gegen Frauen hinterlässt Fragezeichen

Ist Andrew Tate das Vorbild von einem beachtlichen Anteil der deutschen Männer?
Ist Andrew Tate das Vorbild von einem beachtlichen Anteil der deutschen Männer? Inquam Photos/Octav Ganea via REUTERS 
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Einer Umfrage aus Deutschland zufolge soll jeder dritte junge Mann es akzeptabel finden, wenn einmal „die Hand ausrutscht“. Das Ergebnis sei repräsentativ, der Weg dahin ist aber ein intransparenter.

„Für jeden dritten jungen Mann ist Gewalt gegen Frauen akzeptabel“, liest es sich seit Sonntag in diversen deutschsprachigen Medien, in sozialen Medien machen entsprechende Beiträge die Runde. Es ist das schockierende Ergebnis einer Online-Umfrage der unabhängigen Organisation Plan International. Ein Ergebnis, dass der Organisation zufolge repräsentativ ist.

Knapp 1000 Männer zwischen 18 und 35 wurden online zu ihrem Bild von Männlichkeit befragt. Die Antworten sollen Aufschluss über die Gefühlswelt von Männern, ihren Umgang damit sowie das Verhalten innerhalb einer Partnerschaft geben. Für Aufruhr sorgte das Unterkapitel „Gewalt in der Partnerschaft - für ein Drittel der Männer „okay“. So hat mehr als ein Drittel (genauer 34 Prozent) wohl angegeben, gegenüber einer Frau schon einmal handgreiflich geworden zu sein. Und zwar, „um ihr Respekt einzuflößen“. Genauso viele (33 Prozent) geben an, es sei akzeptabel, wenn ihnen beim Streit mit der Partnerin „gelegentlich die Hand ausrutscht“.

Auch scheinen die befragten Männer ein Problem mit Homosexualität zu haben, so stört es knapp die Hälfte (48 Prozent), wenn Männer ihre Homosexualität auf offener Straße ausleben. Ein auf den ersten Blick fatales Ergebnis. Und auch noch auf den zweiten.

Offene Fragen

Beim näheren Nachlesen jedoch ergeben sich Fragen. So ist die Methodik nur ungenau erklärt (standardisierte schriftliche Online-Befragung), der Fragebogen nicht einsehbar. Auch die Methode des Samplings, also die Auswahl der Befragten, findet keine Erwähnung in der herausgegeben Zusammenfassung. Zudem hat man im Zuge von Umfragen nicht selten mit sozialer Erwünschtheit zu kämpfen, einem Bias, der Befragte dazu bringt, möglichst gesellschaftskonform zu antworten, um ein gutes Bild von sich abzugeben. Ob und wie man diesem entgegenzusteuern versucht hat, bleibt ebenfalls offen. Wurde ein Gegensteuern nicht versucht, so müsste ein noch höherer Anteil an Männern, der Gewalt gegen Frauen „okay“ findet, in Erwägung gezogen werden. Eine „Presse“-Anfrage an Plan International zur umfassenden Einsicht in die Methodik blieb bisher unbeantwortet.

Schon am Sonntag meldeten sich auf Twitter erste Kritikerinnen und Kritiker zu Wort. Das Ergebnis würde zahlreichen anderen, wissenschaftlichen und „deutlich seriöseren“ Studien widersprechen. Dass die Befragten allen voran Cristiano Ronaldo, Elon Musk und Andrew Tate, jenen Influencer, der verdächtigt wird, als Menschenhändler, Vergewaltiger und Bandenkrimineller tätig gewesen zu sein, als Vorbild nennen, sei ein Hinweis auf einen Bias bei der Auswahl der befragten Männer, heißt es dort.

Dass Gewalt gegen Frauen ein Problem mit fast epidemischen Ausmaßen ist, lässt sich tatsächlich wissenschaftlich belegen. So geht aus der Studie „Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Österreich 2021“ hervor, die von der Statistik Austria erstellt und von Eurostat und dem Bundeskanzleramt in Auftrag gegeben wurde, dass jede vierte Frau davon betroffen ist. In Deutschland ist die Zahl der Frauen, die Gewalt innerhalb ihrer Partnerschaft erlitten haben, in den letzten fünf Jahren gar um 3,5 Prozent gestiegen. Das zeigt die Kriminalistische Auswertung Partnerschaftsgewalt 2021 .

Auch der männliche Umgang mit Problemen und Gefühlen ist wissenschaftlich dokumentiert. Immer noch empfinden es viele Männer als peinlich, vor Anderen zu weinen, tun sich schwer damit, ihre Gefühle zu zeigen. Ein sorgfältiger und insbesondere transparenter Umgang mit diesbezüglichen Daten ist nicht zuletzt deshalb unabdinglich - auch um Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen forcieren zu können. Ob ein Drittel der deutschen Männer Tätern den Rücken stärken würde - die Umfrage also tatsächlich repräsentativ ist - ließe sich erst nach umfassender Einsicht ins Studiendesign bestätigen. (evdin)

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