Replik

Benvenuto Cellini, genialer Künstler und Verbrecher?

Wie sind der Schöpfer der „Saliera“ und sein Werk heute zu werten? Gehört Cellini gar gecancelt?

Der Autor

Ao. Univ.-Prof. i. R. Hannes Tretter, Universität Wien, und Marie-Lou Deron, die nach einem Praktikum im BMEIA in Kürze ihr Jus-Studium abschließt; beide arbeiten für das Wiener Forum für Demokratie und Menschenrechte (www.humanrights.at)

Am 12. Mai hat Manfred Seeh in der „Presse“ über den „Saliera-Coup – eine Wiener Kriminalgeschichte“, den vor 20 Jahren begangenen Diebstahl einer der berühmtesten Renaissance-Skulpturen der Welt aus dem KHM in Wien berichtet, geschaffen von Benvenuto Cellini (1500–1571), einem genialen, aber auch berüchtigten Künstler der italienischen Renaissance. Drei Morde, Körperverletzung, sexuelle Gewalt (u. a. an seiner Geliebten), Kindesmissbrauch, Homosexualität und Sodomie, Betrug und Diebstahl wurden ihm zur Last gelegt. Mehrmals wurde er angeklagt und verurteilt – einmal sogar zum Tode.

Mehrfach entzieht er sich den über ihn verhängten Strafen durch „Freibriefe“ oder eine „mächtige schützende Hand“. So erklärte Papst Paul III.: „Nehmt also zur Kenntnis, dass Männer wie Benvenuto, die in ihrem Beruf einzigartig sind, nicht dem Gesetz unterworfen sein müssen.“ Immerhin wurde er 1537 nach einem Diebstahl am päpstlichen Schatz im Zuge des Sacco di Roma 1527 (Plünderung Roms durch Söldner von Karl V.) wegen Veruntreuung zu einer Haft in der Engelsburg in Rom verurteilt, der er durch eine Bilderbuchflucht entkommen konnte.

Cellini und seine Kunst standen in seiner Zeit somit über dem Recht. Doch wie sah Cellini sich selbst? Darüber gibt vor allem eines seiner Kunstwerke Antwort, die er für Cosimo I. de‘ Medici, den autoritären, absoluten Herrscher von Florenz, schuf: die berühmte Statue des Perseus mit dem abgeschlagenen Kopf der Medusa in den Loggia dei Lanzi auf der Piazza della Signoria. Deren Herstellung dauerte neun Jahre, fiel größer aus und beschränkte sich nicht nur auf die Figur des Perseus, wie von Cosimo gewünscht, um die Werke von Donatello und Michelangelo auf der Piazza zu übertreffen. Zum Erstaunen vieler zeigt der Hinterkopf des Perseus unter einem zurückgeklappten Helm das Gesicht eines älteren Mannes und setzt so einen Kontrapunkt zu dem jugendlichen Gesicht des Perseus, was als Eingeständnis der Zwiespältigkeit der Persönlichkeit Cellinis zwischen Künstler und Verbrecher gedeutet werden kann.

Nicht nur zur Zeit der Renaissance, auch später war Cellini gefeierter Künstler und Quelle der Inspiration. So übersetzte Goethe Cellinis Autobiografie ins Deutsche und Hector Berlioz komponierte die Oper „Benvenuto Cellini“; schließlich gelangte Cellini mit dem Film „The Affairs of Cellini“ 1934 sogar nach Hollywood.

Joseph Beuys meinte zu Künstlern und Verbrechern: „Beide sind ohne Moral, verfügen über eine verrückte Kreativität, nur getrieben von der Kraft der Freiheit.“ Und der belgische Maler Luc Tuymans wiederum meint, dass die westliche Kultur anders wäre, „hätte es nicht all die verbrecherischen, aber kunstsinnigen Renaissance-Fürsten gegeben“.

Kunst steht nicht über Recht

Wie aber sind Cellini und sein Werk aus heutiger Sicht zu werten? Keineswegs steht die Kunst heute über dem Recht. Denn obwohl die Kunstfreiheit in Österreich gemäß Artikel 17a Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vorbehaltlos garantiert wird, sind Rechte und Freiheiten anderer sowie gewisse gesetzliche Schranken zu wahren. Über diese hinaus gehen allerdings die aktuell in der Kunstwelt debattierten Forderungen, dass Ausdrücke und Handlungen vermieden werden sollen, die Gruppen von Menschen beleidigen oder diskriminieren können („political correctness“), oder dass solche Aussagen oder Handlungen bestimmter Personen öffentlich zu ächten wären, wobei zu einem generellen Boykott dieser Personen und oft auch zu deren Sanktionierung aufgerufen wird („cancel culture“).

Im Fall von Cellini kommen persönliche Konsequenzen dieser Art nicht infrage, sehr wohl aber könnte es seine Werke treffen. So könnte es bereits als politisch inkorrekt angesehen werden, dass die Perseus-Statue komplett nackt gezeigt wird. Noch weiter ginge die Forderung, dass Werke eines Mörders, Vergewaltigers und Kinderschänders heute nicht mehr gezeigt werden dürfen. Weder seine Perseus-Statue in Florenz noch seine „Saliera“ im KHM.

Wir teilen diese Standpunkte nicht. Denn zuerst einmal stellt sich die Frage, inwiefern Künstler und Werk zu trennen sind, und dann spielen auch Zeit und Historie eine Rolle. Es sollte vor allem darum gehen, Betrachter eines Kunstwerks vor Ort über Künstler und Werk samt allen Hintergründen zu informieren, damit sie sich selbst ein Bild machen und darüber trefflich streiten können. Aber nicht nur das, es geht auch darum, Kontrapunkte zu setzen. „Das Ziel von Kunst ist Konflikt“, formulierte einst Boris Groys, und auch Ernst Bloch brachte es mit den Worten auf den Punkt, dass die Funktion der Kunst das Entdecken des „Noch-Nicht-Bewussten“ ist. Großartig zeigt sich das am Beispiel der Statue „Medusa with the Head of Perseus“ des Künstlers Luciano Garbati aus 2008 im Collect Pond Park in Lower Manhattan, N. Y., der den Spieß umkehrt und die splitternackte Medusa mit dem abgeschlagenen Kopf des Perseus zeigt.

Aufmerksamkeit erlangte die Statue im Rahmen einer #MeToo-Kampagne, in der sie als „Triumph-Symbol für Opfer sexueller Gewalt gegenüber ihren Peinigern“ gefeiert wurde. Mit dieser kritischen Umsetzung gelingt es Garbati, eine Brücke zur heutigen Zeit zu schlagen und den Renaissance-Künstler Cellini mit der aktuellen Debatte über politische Korrektheit in Verbindung zu bringen. Es zeigt letztlich, dass der Ansatz „Kritik an Kunst durch Kunst“ eine spannende Chance bietet, die Diskussionen darüber fortzuführen. Was wohl Cellini dazu sagen würde?

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2023)

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