Brüssel-Briefing

Kaja Kallas‘ Gespür für den Kreml

Kallas am Mittwoch mit dem alten und neuen NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Brüsseler Hauptquartier des Bündnisses.
Kallas am Mittwoch mit dem alten und neuen NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Brüsseler Hauptquartier des Bündnisses.Reuters / Yves Herman
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Die liberale estnische Regierungschefin ist die Vordenkerin unter den EU-Spitzen, wenn es um die Reaktion auf den russischen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine geht.

Nein: Kaja Kallas wird nicht nächste NATO-Generalsekretärin (oder, streng genommen, erste Generalsekretärin, war dieses Amt bisher ja durchwegs von Männern besetzt). „Ich denke, der neue Generalsekretär der NATO ist der alte Generalsekretär - und das ist gut“, sagte die estnische Ministerpräsidentin am Mittwoch vor dem Europäischen Ratstreffen in Brüssel bei einer Pressekonferenz. Heiß und stickig war es im Saal der estnischen EU-Botschaft, was Kallas scherzen ließ, sie hoffe, wir fühlten uns hier wohl, die Botschaftsräumlichkeiten verfügten auch über eine Sauna, wo sei die bloß?

Kallas, die im März klar wiedergewählt wurde, wird also nicht Jens Stoltenberg an der Spitze des wichtigsten Verteidigungsbündnisses der freien Welt folgen. Doch auch in ihrer gegenwärtigen Rolle ist sie derzeit eine der einflussreichsten sicherheitspolitischen Entscheiderinnen Europas. Kallas gibt immer und immer wieder den Takt vor, seit Russland vor 16 Monaten ohne Anlass über die Ukraine herfiel. In der Frage, welche Günstlinge und Handlanger des Kremls von der EU sanktioniert werden sollen, liefert ihre Regierung bei jedem neuen Sanktionspaket entscheidende Inputs. Als vor einigen Monaten in westeuropäischen Staatskanzleien, beispielsweise beim Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, die fragwürdige Idee aufkam, die russischen Streitkräfte dadurch zu entmannen, indem man ein europäisches Programm zur kollektiven Erteilung von Asyl an Wehrdienstverweigerer lanciert, grätschte Kallas forsch dazwischen. Der EU feindlich gesinnte Drittstaaten hätten erkannt, „dass Migration unsere Schwachstelle ist“, und könnten gezielte irreguläre Migration als Mittel der hybriden Kriegsführung einsetzen (was Belarus bekanntlich 2021 gegenüber Polen tat). Von Kallas stammte zu Jahresbeginn auch der Vorschlag, dass die EU-Staaten gemeinsame Programme zur Beschaffung und Herstellung von Artilleriemunition für die Ukraine aufschienen sollten. Wozu es wenig später auch kam.

Insofern ist es immer lohnend, der estnischen Regierungschefin zuzuhören, wenn sie über Russland spricht. Wie also sieht sie die Lage? „Es wird zusehends klar, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt“, sagte Kallas am Mittwoch. Daran sollten alle ein Interesse haben, die rasch Frieden wünschen, denn: „Sobald Putin einsieht, sobald der Kreml einsieht, dass er verliert, wird der Krieg enden. Unser gemeinsames Ziel sollte darin liegen, dass die Aggression rasch in einer Niederlage endet.“

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