175 Jahre „Die Presse“

Darf sich Herr Nestroy über die Revolution lustig machen?

Juli 1848. Ein „Presse“-Verriss über die Nestroy-Posse „Freiheit in Krähwinkel“.

Ein scharfes Messer ist die Freiheit, sagte Nestroy. Und ein scharfes Stück ist seine Posse „Freiheit in Krähwinkel“, die nach ihrer Uraufführung am 1. Juli 1848 täglich im Leopoldstädter Carl-Theater gespielt wurde. Auch das Theater sollte sich in den Dienst der Revolution stellen, wurde damals verlangt, nicht nur die Zeitungen. Das war inzwischen auch dringend nötig, seit dem Ausbruch der Revolution im März hatten die Theater Probleme, ihre Häuser zu füllen.

Die Aufgabe, sich gegen die Konkurrenz der Publizistik zu stellen, übernahm Nestroy mit Bravour. Was die Zeitungen konnten, vermochte er schon lang. Viel zitiert wurden die Sätze, mit denen er die Kleinlichkeit und intellektuelle Beschränktheit der Zensoren des Vormärz kritisierte: Der Zensor sei „ein menschgewordener Bleistift oder ein bleistiftgewordener Mensch, ein fleischgewordener Strich über die Erzeugnisse des Geistes, ein Krokodil, das an den Ufern des Ideenstromes lagert und den darin schwimmenden Literaten die Köpfe abbeißt“.

In einer losen Aneinanderreihung von satirischen Szenen bringt er in der Posse „die jüngsten freudigen Ereignisse“ dreieinhalb Monate nach dem Ausbruch der Revolution auf die Bühne, die ganze brodelnde Situation, in der die Wiener es schaffen, gleichzeitig aufmüpfig und kaisertreu zu sein. Die Revolution versichert sich in seinem Stück ihrer selbst. Denn was ist inzwischen geschehen? Alles steht auf der Kippe und der siegreiche Ausgang wird immer ungewisser. Die reaktionäre Wende, die, wie Nestroy weiß, kommen wird, ist schon einkalkuliert. Schon genial.

Krähwinkel: Hiebe nach rechts und links

Die frische „Presse“ brachte gleich am Tag nach ihrer Gründung, am 4. Juli, ihre Kritik des Stücks im Feuilleton auf der Seite 1. Und um es gleich vorwegzunehmen: Sie hat viel einzuwenden. Nestroy schildert die Revolution in einer rückständigen, deutschen Kleinstadt à la Schilda, er nennt sie Krähwinkel – und meint Wien. Ein Journalist, Eberhard Ultra, bringt den Krähwinklern das Feuer. Doch die Revolution bleibt vor allem eine Maskerade und ist letztlich ein Rohrkrepierer. „Is die Gärung auch groß, Bei uns geht nix mehr los!“, heißt es in einem Couplet. Das heißt also: Von den Wienern ist kein neuerlicher Aufstand mehr zu erwarten.

In dem Stück werden Hiebe nach rechts und links ausgeteilt. Das gab Anlass zur Frage: War Nestroy eigentlich für oder gegen 1848? Die Idee der Freiheit war in dem Inhalt des Stücks schwer zu fassen. Wird die Revolution in dem Stück parodiert und der Lächerlichkeit preisgegeben, fragten sich die Rezensenten. „Wer oder was berechtigt den Autor, die Sache unserer Freiheit, eine Sache, die wir mit unserem Blute bezahlten, ins Lächerliche, Gemeine herabzuzerren?“, schrieb die Nestroy feindselig eingestellte Zeitschrift „Der Humorist“ am 3. Juli. Und einen Tag später wirft „Die Presse“ Nestroy vor, dass er mit seinem Revolutionsstück die Freiheit parodiere. „Ist sie der Stoff dazu? . . . Weiß Herr Nestroi (sic!) nicht, dass es Gefühle gibt, über die wir keinen Scherz anhören können, ohne verletzt, verwundet bis in den Kern unserer Seele zu werden? . . . Die Freiheit – der Kampf – das Streben um sie ist das heiligste und heiligendste Gefühl – und Hr. Nestroi parodiert sie!“

Nestroy habe alles andere als ein Volksstück, ein Stück „aus dem Volke für das Volk“ geschrieben, so die Kritik der Zeitung. „Jeder, der für das Volk schreibt, muss belehren und veredlen wollen, sonst ist er ein Verräter an dem Volke.“ Für Witz und Humor sei das Thema nicht geeignet, man verderbe nur den Geschmack der Zuschauer. Vom Publikum wurde das Stück freilich mit Begeisterung aufgenommen, nach der Niederschlagung der Revolution im Oktober 1848 wurde es abgesetzt. Die Realität überrollte die Satire.

Jubiläum

Welche Zukunft haben Liberalismus und Meinungsfreiheit? Diese Frage stellte sich im Revolutionsjahr 1848, als „Die Presse“ erstmals erschien. Und sie stellt sich heute mehr denn je. In unserem Schwerpunkt zum Jubiläum blicken wir zurück und nach vorne.

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