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Kopenhagen: Eldorado des urbanen Bauens

„Architektonische Skulptur“: die holzverkleidete Wendeltreppe im „Mærsk Tower“ von C.F. Møller Architects.
„Architektonische Skulptur“: die holzverkleidete Wendeltreppe im „Mærsk Tower“ von C.F. Møller Architects.Visit Denmark / Daniel Rasmussen
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Architektur. Im Jahr 2023 darf sich Kopenhagen mit dem Titel „World Capital of Architecture“ schmücken. Und zeigt vor, was an modernen Bauwerken und nachhaltigen Quartieren alles möglich ist.

Mit Kopenhagen als Weltarchitektur-Hauptstadt 2023 verlieh die Unesco gemeinsam mit der internationalen Architektenvereinigung UIA zum insgesamt zweiten Mal einer Stadt diese Auszeichnung. Warum das so ist? Die dänische Hauptstadt ist für ihre beeindruckenden Bauten und hohe Lebensqualität bekannt. Sie gilt als wichtiger, ideengebender Ort für Architekturschaffende wie auch für –interessierte: „Kopenhagen zählt zwar nicht zu den flächenmäßig größten Städten, aber die Summe seiner vielen kleinen Details macht es zu einer großen Ideengeberin für urbane Architektur“, sagt Bjarke Ingels, Gründer und Kreativdirektor des dänischen Architekturbüros BIG. Seine lange Tradition des Häuserbauens, seine reiche Geschichte und Kultur sowie sein Bekanntheitsgrad, wenn es etwa um (sozial) nachhaltige Wohnviertel geht, spielen eine wesentliche Rolle bei Kopenhagens Ernennung zur diesjährigen Architekturhauptstadt. All das spiegelt sich in den Häusern, Plätzen und in den neu gestalteten Hafengegenden wider.

Besonders stolz sind die rund 644.000 Bewohner Kopenhagens nicht nur auf seine Architektur- und Designaffinität, sondern auch auf seinen guten Ruf als eine der fahrradfreundlichsten Städte der Welt. „Und alle, die hier leben, bekennen sich zu einer nachhaltigen Stadtplanung sowie menschzentrierten Architektur“, sagt Kristine Munkgård Pedersen, Programmdirektorin der „World Capital of Architecture 2023“. Die zahlreichen Veranstaltungen – vom „Architecture Run“ bis zu den „Slow Tours“, die unter anderem zu einigen 1920er–Jahre-Bauten des legendären dänischen Architekten Arne Jacobsen (1902–1971) führen – und Ausstellungen im „Danish Architecture Center“ richten sich sowohl an ein Fachpublikum sowie an Menschen, die „in und mit der Architektur leben“, so Pedersen. Hier einige Best-Practice-Beispiele.

Von zukunftsfähigen Projekten . . .

Kopenhagen gilt somit als Eldorado des klimafreundlichen Städtebaus. Und vor allem renommierte Planer und Architekten zeichnen dafür verantwortlich. Das traditionsreiche dänische Büro von Henning Larsen hat ein Musterbeispiel für den künftigen Siedlungsbau entworfen: Das Projekt namens „Fælledby“ entsteht derzeit unweit vom Zentrum Kopenhagens und setzt auf den Baustoff Holz, naturbelassene Flächen und kleine Einheiten. Das circa 18,1 Hektar große Areal einer ehemaligen Deponie wird seit 2019 in eine eigene Gemeinde für knapp 7000 Einwohner umgebaut. Grüne Korridore, die knapp 40 Prozent der gesamten Fläche ausmachen, beziehen die Umgebung in den Masterplan mit ein und ermöglichen so, dass sich die verschiedensten dort lebenden Tierarten auf dem Gelände frei bewegen können. An dem Planungsprozess sind unter anderem Biologen sowie Umweltingenieure des Unternehmens MOE beteiligt.

Königlich-Dänische Oper
Königlich-Dänische OperAdam Mørk

Für das ambitionierte Vorhaben erhielt das Holzdorf bereits in seiner Bauphase den „Fast Company‘s World Changing Ideas Award“ in der Kategorie „Urban Design“ (2021). Zudem baute Larsen mit seinem Team in den vergangenen Jahren imposante Bauwerke für die Hafenstadt. Dazu zählt das königliche-dänische Opernhaus, das 2008 etwa den „Outstanding Structure Award der International Association for Bridge and Structural Engineering“ (IABSE) erhielt und die Unternehmenszentrale der Wohnbaugesellschaft KAB. Als den „reinsten Luxus“ beschreibt Louis Becker, Chefdesigner bei Henning Larsen, die einzigartige Lage der rot geziegelten Wohnbauten im 55 Hektar großen Entwicklungsgebiet Nordø.

. . . und Metamorphosen ohne Limits

„Wir müssen noch viel lernen, umdenken und vor allem das Wissen über nachhaltige Bauweisen weitergeben“, meint Becker. In die gleiche Kerbe schlägt der 3XN-Gründer Kim Herforth Nielsen, der sich seiner Verantwortung als Architekt bewusst ist, und betont, dass es wichtig sei, bestehende Gebäude nicht abzureißen, sondern einer „Metamorphose“ zu unterziehen, und zwar „ohne gestalterische Limits“. Mit seiner Denkfabrik GXN habe er darüber hinaus vor, an einer „zukunftsfähigen Architektur“ zu arbeiten. Ein äußerst ambitioniertes Unterfangen, das über eine Vielzahl an baulichen Vorbildern verfügt.

The Blue Planet
The Blue PlanetAdam Mørk/3XN

Denn mit „The Blue Planet“ dürfte 3XN bereits ein extravaganter Bau gelungen sein. Inspiriert durch das sich endlos in Bewegung befindliche Wasser wurde das größte Aquarium Nordeuropas auf einer Grundstücksgröße von 1,2 Hektar wie ein Wasserstrudel „geformt“. Die Fassade ist mit mehr als 33.000 rautenförmigen Aluminiumplatten gedeckt. Besucher erreichen das in Flughafennähe gelegene Aquarium über den ersten und auch längsten Wirbel des gebauten Wasserstrudels, der in den gestalteten Freiflächen beginnt. Aufgrund seiner exponierten Lage verbindet das mehrfach für sein imposantes Aussehen und seine einzigartige bauliche Ausführung prämierte Gebäude das Festland mit dem Meer.

Jernbanebyn
JernbanebynCOBE Architects

Als ein weiteres planerisches Highlight, das sich kurz vor seinem Bau (2024) befindet, ragt das innerstädtische Viertel „Jernbanebyen“ heraus. Auf einem etwa 55 Hektar großen stillgelegten Bahngelände entwickelt die dänische Bahn gemeinsam mit der staatseigenen Immobilienentwicklerin Freja Ejendomme einen neuen Stadtteil: teilweise autofrei, mit adaptierten Bestandsimmobilien und verschiedenen Wohntypologien: von Reihen-, Stadt- und Hochhäusern bis hin zu diversen Anbauten. Mit dem Stadtentwicklungsplan 2019 steht dem höchst ambitionierten Bauvorhaben nichts mehr im Weg. An dem städtebaulichen Wettbewerb beteiligten sich unter anderem BIG, Snøhetta und COBE. Letzteres überzeugte mit seinen Entwürfen für das klimafreundlich konzipierte Viertel, das sich in sechs Quartiere aufteilen wird. Grünräume dienen zur Abgrenzung innerhalb der jeweiligen Grätzel. Dazwischen sind (Straßen-)Verbindungen vor allem für Radfahrende und Fußgänger vorgesehen.

COBE benutzen dafür den neuen Begriff „Infranatur“. Auch das Lärmmanagement soll anders als üblich ablaufen: „The Pearl Necklace“ (englisch für Perlenkette) soll lokale Lösungen garantieren. Wobei unter „Perlen“ aneinander gereihte lokale Lösungen gemeint sind. Dazu zählen etwa Wohnhäuser mit lärmgeschützten Fluren und begrünten Fassaden.

Elegant und autofrei

Um ein bereits von COBE fertiggestelltes Projekt handelt es sich bei „The Silo“. Das 17-stöckige „Landmark“-Gebäude steht im einstigen Industriehafen und wurde ehemals als Getreidespeicher genutzt. Die dänischen Planer verwandelten den Industriebau von einem monolithischen Betonblock in ein Wohnhochhaus mit 38 Apartments. Das Erdgeschoß beherbergt Räume für eine öffentliche Nutzung und ganz oben gibt es ein Restaurant mit Rundumausblick über die Stadt und die Küste.

Lille Langebro
Lille LangebroRasmus Hjortshøj - COAST

Wer von einem Stadtviertel ins nächste kommen möchte, frequentiert eine der (autofreien) Brücken. Dabei dürfte die markante „Lille Langebro“ den „Dreh raus haben“. Mit ihren circa 175 Metern Länge legt sich die leicht gebogene Drehbrücke seit ihrer Fertigstellung vor vier Jahren elegant über den Stadthafen. Ihre doppelte Öffnung gibt 35 Meter frei, damit Schiffe hindurchfahren können. Geplant vom britischen Architekturbüro WilkinsonEyre, gewann die Fuß- und Radwegbrücke bereits mehrere Auszeichnungen (u. a. „RIBA International Awards for Excellence“, 2021). Nun, ob preisgekröntes Bauwerk oder nicht, die Architekturwelt blickt jedenfalls nach Kopenhagen. Und sämtliche Anzeichen deuten hier auf eine nachhaltige Stadtentwicklung hin – denn: „Architektur formt menschliches Verhalten“, zeigt sich Nielsen überzeugt.

Weltarchitektur-Hauptstadt

Kopenhagen ist die bislang zweite Stadt der Welt, die diesen Titel trägt. Ihre Vorgängerin ist Rio de Janeiro (2020).

Programminfos (engl.) unter: www.arkitekturhovedstad.kk.dk/en

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