Hirscher: "Keine Stockerlplätze zum Saufüttern"

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Der 23-jährige Salzburger Marcel Hirscher macht sich im Interview mit der "Presse" Gedanken über das ÖSV-System, das vergoldete US-System und erklärt schließlich das "System Hirscher".

Die Presse: Können Sie das Wort Druck überhaupt noch hören?

Marcel Hirscher: Ich habe jetzt fünf Tage bei mir daheim in Annaberg trainiert, bei herrlichen Bedingungen. Einen Tag habe ich frei genommen, einmal eine Skitour im Tiefschnee gemacht. Das war genial. Ob ich jetzt schnell einmal die WM retten muss? Das wäre eine nette Schlagzeile, aber das ist weit hergeholt. Und wenn nicht? Ich habe in diesem Winter schon mehr geleistet, als ich eigentlich vorgehabt habe. Ich werde mir nachher sicher keine Kritik anhören. Wenn es mir gelingt, dass ich keinen Fehler mache, dann werde ich auf dem Stockerl stehen. Zumindest war das in den vergangenen Rennen so. Und es werden am Sonntag beim WM-Slalom auch keine 40.000 Zuschauer kommen können wie bei einem Nachtslalom in Schladming. Von dem her wär's also wieder weniger Druck als in der Vergangenheit.

Sind Sie auch mental bereit, der Held dieser WM zu werden?

Ich weiß, alle schreiben von drei Goldmedaillen. Aber ich weiß noch nicht, wie ich das machen soll. Es gibt keinen Masterplan. Ich muss einfach schnell Ski fahren – und keinen Mischmasch machen.

Welchen Stellenwert hat diese Weltmeisterschaft für Sie?

Eine WM-Medaille hat für mich persönlich sicher keinen höheren Stellenwert als eine Kristallkugel. Wenn du einen Disziplinenweltcup gewinnst, dann warst du über die ganze Saison der Beste. Dazu brauchst du zehn Rennen. Für Gold nur eines. Und der Gesamtweltcup ist die noch größere Leistung. Wenn man Medaillen und Kugeln gewinnt, dann wäre das natürlich cool.

Sie haben die Super-Kombination hier verfolgt. War es die richtige Entscheidung, darauf zu verzichten?

Ja, absolut. Ich war davon überzeugt, dass wir eine Medaille holen. Begeistert war ich aber auch von Benjamin Raich. Wenn die Bedingungen auf der Planai so bleiben, dann gibt es für den Spezialslalom viele Argumente für Medaillen. Mario Matt kann Geschichte schreiben und zum dritten Mal Weltmeister werden. Und Manni Pranger ist auf Eis immer eine Bank.

In den vergangenen Tagen haben sich kritische Stimmen gemehrt, auch Hermann Maier lässt kein gutes Haar am ÖSV. Ihre Meinung?

Die Leistungen bisher waren gut. Aber die Erwartungshaltung war zu hoch. Man muss offen sagen, dass wir ja im Weltcup auch nicht gerade Stockerlplätze zum Saufüttern gehabt haben. Und dann kam diese Aussage, dass es die beste WM aller Zeiten wird. Das macht die ganze Sache nicht einfacher. Sicher, alle geben sich Mühe. Ich find's auch super und schön. Aber die beste WM aller Zeiten? Acht Medaillen? Den Druck und die Erwartungen habe die Medien transportiert. Die meisten von uns haben Chancen – ein Fehler weniger und wir wären erfolgreicher. Wem das nicht passt, der soll sich oben auf den Berg hinaufstellen und selbst runterfahren.

Würde das „System Hirscher“ tatsächlich auch in Afghanistan, wie das Rainer Schönfelder sagt, funktionieren?

Ich habe das Glück, dass die Slalomgruppe ein sehr gutes Team ist. Und ich komplettierte es mit meinem Dad und meinem Servicemann. Aber ob das woanders auch funktionieren würde, das weiß ich nicht. Ob ich es dann auch geschafft hätte, keine Ahnung, das kann ich nicht beantworten. Ich habe dieses Niveau jedenfalls erreicht.

Im stärksten Team der Welt?

Sind wir die beste Skination der Welt? Es hat sich viel verändert. Wir sind sicher die größte Skination der Welt. Aber die Amerikaner sind sehr weit vor uns. Das lässt sich ja leicht recherchieren... Es gab Zeiten, da haben wir dominiert.

Es gibt schon gewisse Dinge, die man hinterfragen muss. Etwa die Tatsache, dass manche Nationen, die ein kleineres Budget haben, erfolgreicher sind als wir.

Sind Sie überhaupt ein Produkt des ÖSV?

Ich gehe meinen Weg. Und ich genieße meine Freiheiten. Solange der erfolgreich ist, wird das niemand kritisieren. Wenn ich nicht mehr daheim trainieren darf, dann werde ich es trotzdem machen, weil ich damit Erfolg habe. Aber das passiert ohnedies nicht. Ich mag es grundsätzlich auch nicht, wenn jemand Extrawürste hat. Aber es geht nicht um Sympathiepunkte bei den anderen. Für mich ist das alles perfekt abgestimmt.

Inwieweit hat Sie die kurz aufgekommene „Einfädler-Äffäre“ beschäftigt?

Das stresst mich null. Blöd wäre nur gewesen, wenn wir davon überrascht worden wären. Dann hätte das wieder eine Lawine losgetreten. Es ist erstaunlich, dass es Menschen gibt, die sich die Mühe machen, solche Bilder zu bearbeiten. Aber offenbar sieht mich nicht jeder gern auf dem Stockerl. Entweder war es ein Lausbubenstreich oder ein gewollter Betrug. Oder das alles war witzig gemeint – sonst wäre die Bearbeitung besser gewesen. So etwas schaffe ich in zwei Minuten.

Zur Person

Marcel Hirscher, 23, ist die große WM-Hoffnung. Der Salzburger wird von Vater Ferdinand beraten, er liebt Motocross und Kajak und ist aktueller Gesamtweltcupsieger. In Schladming will er sowohl im RTL als auch im Slalom reüssieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2013)

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