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„Black Mirror“: Die neue Staffel ist nicht arg genug

Josh Hartnett spielt in „Beyond the Sea“ einen Astronauten, der im All lebt – und gleichzeitig auch als Replikat auf der Erde.
Josh Hartnett spielt in „Beyond the Sea“ einen Astronauten, der im All lebt – und gleichzeitig auch als Replikat auf der Erde.Nick Wall/Netflix
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Die britische Anthologieserie ist einzigartig darin, dystopische Zukunftsfantasien über neue Technologien zu zeichnen. Die sechste Staffel von „Black Mirror“ ist ganz anders: Es geht zurück in die Vergangenheit.

Neue Staffeln von „Black Mirror“ werden von Serienfans üblicherweise mit Freude erwartet – und mit ein bisschen Furcht. Die britische Anthologieserie von Charlie Brooker zeichnet Zukunftsfantasien, die imaginieren, wohin der technische Fortschritt führen könnte. Und verwendet dabei viel schwarze Farbe. „Arg“ ist das Wort, das man hierzulande in Gesprächen über die Serie oft hört. Manche der Folgen brennen sich regelrecht ins Gedächtnis ein. Etwa jene, in der die Figuren erkennen, dass sie bloß Avatare sind, gefangen im virtuellen Reich eines unangenehmen Arbeitskollegen. In einer anderen Folge bestimmt Beliebtheit in sozialen Medien über jeden Aspekt des eigenen Lebens. Einmal zeigt die Serie vor, wie es sein könnte, wenn man Verstorbene als Cyborgs wieder auferstehen lässt. Oder wie es wäre, wenn man sich selbst in eine virtuelle Idylle hochladen könnte, um ewig zu leben.

Die sechste Staffel, im Juni veröffentlicht, ist anders. Keine der Folgen spielt dezidiert in der Zukunft, gleich mehrere führen ungewöhnlicherweise gar in die Vergangenheit. Am typischsten für „Black Mirror“ ist noch die erste Episode: „Joan Is Awful“ zeigt eine toxische Mischung von Künstlicher Intelligenz und Deep Fake und persifliert in gewisser Weise die Heimat der Serie, den Streaminganbieter Netflix. In der Episode sieht sich die durchschnittliche, tendenziell etwas unglückliche Joan („Schitt‘s Creek“-Star Annie Murphy) mit ihrem Freund auf „Streamberry“ eine neue Serie an. Diese erweist sich als ziemlich detailgetreue Darstellung ihres eigenen Lebens. Joan wird dabei zwar vom Star Salma Hayek gespielt. Gut weg kommt sie aber trotzdem nicht.

Auch in Folge zwei spielen Streamingdienste und der Wunsch, Zuschauern neuen Stoff in ihren Lieblingsgenres zu liefern, eine Rolle: „Loch Henry“ treibt den Trend zu True-Crime-Formaten ins Extrem. Und hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Ebenso wie Folge drei, „Beyond the Sea“. Josh Hartnett und „Breaking Bad“-Star Aaron Paul verkörpern darin zwei Astronauten in den späten 1960ern, die gleichzeitig als Menschen im All und als Replikate auf der Erde leben. Brutal wird der Mord an Sharon Tate zitiert, brutal ist auch der Umgang damit. Insgesamt ist „Beyond the Sea“ aber eine klassische Science-Fiction-Geschichte, wie sie schon vor Jahrzehnten hätte erscheinen können.

Anjana Vasan spielt eine Schuhverkäuferin in einem 1970er-Jahre-Setting
Anjana Vasan spielt eine Schuhverkäuferin in einem 1970er-Jahre-SettingNick Wall/Netflix

Die letzten beiden Folgen beschäftigen sich mehr mit den Genres Horrorfilm und Fantasy als mit Technik. In „Mazey Day“ suchen Paparazzi mit allen Mitteln einen untergetauchten Serienstar. „Demon 79“ führt zurück ins Großbritannien der späten 1970er: Eine indischstämmige Schuhverkäuferin (Anjana Vasan) muss Morde begehen, um die Welt vor der Apokalypse zu bewahren: Ein klassischer Horrorfilmstoff.

Und schon ist sie wieder vorbei, die sechste Staffel, auf die man vier Jahre gewartet hat. Das große Echo hat „Black Mirror“ dieses Mal nicht hervorgerufen. Es gab keine „Wow“-Folge, die nachhaltig aufwühlte. In den sozialen Medien äußerten Fans ihre Enttäuschung: Es fehle die gesellschaftskritische Note, das Dystopische, und eben die Technik. In der Film- und Seriendatenbank IMDb schneidet nur Staffel fünf (die bloß drei Folgen hatte) schlechter ab, ebenso wie beim Rezensions-Sammler „Rotten Tomatoes“.

Bewertungen hin oder her, der Fokus hat sich verschoben. Wo „Black Mirror“ bisher emotional aufwühlte, eben: „arg“ war, blickt sie nun auf sich selbst: Sie stellt die eigenen Produktionsbedingungen und die eigene (filmische) Herkunft zur Schau. Liegt es daran, dass die Realität diese düsteren Zukunftsfantasien eingeholt hat? Unter anderem, indem ein unberechenbarer Milliardär eine der beliebten Social-Media-Plattformen gekauft hat und sie nun nach Belieben umprogrammieren lässt. Oder dass mit ChatGPT eine Künstliche Intelligenz im Mainstream angelangt ist, dort die Furcht der Entmachtung der Menschen verbreitet und Lügen spinnt. Als Zuseherin bekommt man den Eindruck: Selbst „Black Mirror“ flüchtet sich nun in Fantasien über die Vergangenheit.

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