Popikone

Harry Styles in Wien: Das ging beinah ins Auge

Pressefotografen waren beim famosen Wien-Konzert nicht zugelassen. Dabei glitzerte Harry Styles noch mehr als auf diesem Bild: in einer Hose und einem Gilet, bestickt mit grünem Lametta.
Pressefotografen waren beim famosen Wien-Konzert nicht zugelassen. Dabei glitzerte Harry Styles noch mehr als auf diesem Bild: in einer Hose und einem Gilet, bestickt mit grünem Lametta. Anthony Pham
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Der aktuelle König des Pop residierte im Ernst­-Happel-Stadion – und wurde bei dem Konzert wegen eines Tiktok-Trends von einem Gegenstand am Kopf getroffen.

Die Liste der Gegenstände, die man am Samstagabend nicht zum Konzert von Harry Styles ins Wiener Ernst-Happel-Stadion mitnehmen durfte, war lang. Neben dem Üblichen (Flaschen, Waffen, etc.) standen zwei Obstsorten darauf: Melonen und Kiwis waren nicht erlaubt, damit bei den Songs „Watermelon Sugar“ und „Kiwi“ Besucher kein Obst auf die Bühne werfen. Und trotzdem gab es einen Vorfall: Mitten im Konzert spazierte Styles in einer mit grünem Lametta bestickten Hose samt passendem Gilet, das den Blick auf das Schmetterlings-Tattoo unter seiner Brust freiließ, über den Steg, der durch das Publikum führte. Der britische Popstar und seine superbe Band (allen voran Drummerin Sarah Jones) gaben dabei ihr selbsternanntes „Disco Medley“ zum Besten: „Music for a Sushi Restaurant“, „Treat People With Kindness“ und „What Makes You Beautiful“ (von Styles‘ Ex-Boyband One Direction). Bei dem energetischen Triumvirat flogen reihenweise Gegenstände in Richtung des aktuell regierenden Königs des Pops. Ein Handy, mit dem er ein Foto machte. Kuscheltiere, Blumen, kleinere Dinge. Das meiste ignorierte Styles, aber ab und zu machte er sich den Spaß, etwas mit einer Hand aufzufangen. Beim Gang zurück auf die Bühne wurde er dann im Gesicht getroffen: Styles zuckte zusammen, griff sich ans Auge. Nichts passiert, die Show ging weiter.

Ein Schönheitsfehler in einem sonst so perfekten Konzert und Ausdruck eines Trends, der Dank sozialer Medien wie TikTok um sich greift: Triff den Star – mit etwas möglichst Ungewöhnlichem. Bei Pink landeten vergangene Woche in London die Asche einer Verstorbenen und ein Laib Käse auf der Bühne. Ein paar Tage davor war Popsängerin Bebe Rexha in New York von einem Handy an der Augenbraue getroffen worden und musste genäht werden.

„Ich warne euch, etwas zu werfen!“

Adele kritisierte in Las Vegas jüngst, dass die Besucher wohl die Etikette bei Konzerten vergessen hätten, und ließ sie wissen: „Ich warne euch, etwas nach mir zu werfen! Ich bringe euch um!“ Harry Styles kommentierte den Wiener Zwischenfall, über den selbst der amerikanische „Rolling Stone“ berichtete, nicht. Der – man muss es leider so nennen – dumme Trend wird zur Folge haben, dass die Mitnahme von Gegenständen künftig noch restriktiver gehandhabt wird und die Musiker auf Distanz gehen.

Dabei ist es genau diese Nähe zum Publikum, die einen Teil des Faszinosums Harry Styles ausmacht. Dass er ein Star zum Wohlfühlen ist, und so nett. „Schön“ sei Wien, der Tag, der Abend. „Geht es euch gut?“, erkundigte er sich mehrfach. Jeder solle sich doch bei ihm frei fühlen dürfen, animierte er. „Love on Tour“, heißt seine Konzertreihe. „Thank you, thank you, thank you“, bedankte er sich bei der Band, der Crew, vor allem aber den Besuchern. Es klang demütig, nicht anbiedernd. Ein Teil der Fans – vielleicht waren es jene, die vor dem Stadion gecampt hatten, um möglichst nahe an die Bühne zu kommen – hatte Schilder gebastelt: ein Ritual bei Styles‘ Konzerten. „Bin ich gay, wenn ich 99 Prozent der Männer abstoßend finde“, fragte Emilie aus der Schweiz. „Um ehrlich zu sein, 99 Prozent der Männer finde ich auch abstoßend“, kommentierte Styles und sinnierte: „Bist du deswegen homosexuell? Comme ci, comme ça. Sind wir das nicht alle ein bisschen?“ Ähnliches Thema bei der zweiten Schild-Trägerin, die Styles auserkor: „Hilf mir bei meinem Coming-out“, wünschte sich Teenagerin Vicky. Eine gängige Bitte bei seinen Konzerten, der er gerne nachkam, mit Musik.

Ist das dieses Styles oft vorgeworfene Queerbaiting, das Bedienen queerer Themen und Ästhetik, um sich bei der LGBTQI+-Community beliebt zu machen? Wenn er sich in Regenbogenflaggen hüllt, seine eigene Sexualität aber nie öffentlich definiert? Sollte er das, wie die „New York Times“ ihm nahegelegt hat? Styles ist kein Aktivist. Seine Rolle machte er zu Beginn des Konzertes deutlich: „Wir sind hier, um euch zu unterhalten.“ Vielmehr ist er ein Mann der Uneindeutigkeiten. Sexy, aber nicht gefährlich. Nahbar, und eine Ikone. Comme ci, comme ça. Teils-teils eben.

Kleidung, für die sonst der Mut fehlt

In seiner Ambiguität eignet sich Styles als perfekte Projektionsfläche für seine mehrheitlich weiblichen Fans. Mehr noch: Er ist Geburtsthelfer für ihr erwachendes Selbstbewusstsein. Besucher, vor allem Besucherinnen in Wien schmückten sich mit Straß, Glitzer und Federboas. Sie zogen Kleidung an, für die ihnen sonst der Mut fehlt. Sie trauten sich, unfassbar laut zu sein, kreischten bei jedem Hüftschwung, jedem Lächeln, jedem kecken Blick des 29-Jährigen. Ach was, selbst wenn er gar nicht auf der Bühne war! Schon vor der Show ging die Welle durchs marode Stadion. Der Jubel hielt lange nach den letzten Tönen von „Kiwi“ an. Was würde Styles dazu sagen? Schön. Danke.

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