Redebedarf

Der Gesprächsstoff am Himmel

Da braut sich was zusammen: Ein Gespräch über das Wetter.
Da braut sich was zusammen: Ein Gespräch über das Wetter.IMAGO
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100 Rätsel der Kommunikation. Folge 30. Kommt‘s oder kommt‘s doch nicht, das Gewitter? Im Sommer weiß man immer, worüber man reden kann. Das ist übrigens gut für die Beziehung. Noch dazu für jede.

Es gibt keine bessere Gelegenheit als jetzt. Um über das Wetter zu reden. Es ist Sommer. Und es gibt viel Wetter. Ok, im Winter ist das genauso. Aber das ist ja das Schöne am Wetter: Man kann immer darüber reden. Auch morgen. Der Zeitpunkt passt immer. Denn: Auch das Wetter ist immer. Und das gibt uns die Chance auf anständige phatische Kommunikation. So heißt das nämlich, wenn man miteinander redet, aber egal, worüber. Hauptsache man versichert sich gegenseitig, dass die Beziehung eh noch in Ordnung ist. Sonst wäre die Antwort auf „Ist es sehr heiß draußen?“ vielleicht: „Geh, lass mich in Ruhe“. Aber warum ist gerade das Wetter die erste Säule des Small-Talks? Es ist so einfach, ich hätte gar keine Wissenschaftler fragen müssen: Es ist eines der wenigen Dinge, die uns alle verbinden. Es ist eine kollektive Klammer, die uns alle betrifft. Wie das Universum. Nur das dieses etwas weniger small-talk-tauglich ist, weil noch unerklärlicher. Das Wetter geht uns immer gleichzeitig was an. Wenn wir reden, haben wir’s gemeinsam heiß. Oder gemeinsam nass. Und wenn der eine von den Malediven nach Osttirol telefoniert, haben beide noch immer etwas gemeinsam: Sie haben Wetter. Selbst wenn es ganz unterschiedlich ist.

Kommunikation sucht immer den Ausgleich. Die Gemeinsamkeit. Ich bin du. Und du bist hoffentlich auch bisschen ich. Das wäre die wünschenswerte Ausgangslage für ein tolles Gespräch. Gerade beim Small Talk am Grill. Oder am Pool. Ah, du fliegst auch nach Kreta? Ah, du stehst auch schon zwei Stunden in der Schlange am Flughafen? Ah, Veganer! Ah! Ah, wusste ich gar nicht! So ein Zufall. Und wenn man sich doch nicht auf Andreas Gabalier einigen kann, dann zumindest darauf, dass es gerade ziemlich heiß ist. Und das da hinten am Himmel eventuell ein Gewitter aufzieht.

Alles ist wichtig

Kommunikation ist Beziehungsarbeit. Und wenn man schon in Beziehung ist, und das ist man, ob man will oder nicht, sobald ein anderer Mensch im selben räumlichen Kontext ist, dann könnte man auch gleich daran arbeiten. Den Kommunikationskanal schmieren mit Small-Talk. Falls später doch noch etwas Wichtiges zu sagen wäre. Das funktioniert dann ungefähr so: Schwiegermutter und Tochter sitzen am Balkon und beobachten den Himmel. „Ich glaub, da kommt heut noch was“, sagt die eine. Sie meint ein Gewitter. „Na, da kommt nix mehr heut“, sagt die andere. Pause. „Glaubst kommt nix mehr heut?“. „Naja, vielleicht kommt noch was“. Pause. „Gestern is a nix kommen“. „Ja, aber gestern hat’s lang danach ausgeschaut“. Das war nur ein kleiner Ausschnitt eines langen Nachmittags am Balkon. Im Barock hat man noch ausgefallene Keramikskulpturen auf den Tisch gestellt, um Tischgespräche zu induzieren. Solange man Wetter hat, braucht man all die anderen Dinge nicht, über die man reden könnte: die neuen Frisuren, Tattoos, Hunde, Babys im Arm, die Bundeskanzler, die Inflation. Ich glaub, da zieht schon wieder eine Gewitterwolke auf. Ah nein, die zieht vorbei. Reden wir drüber.

100 Rätsel der Kommunikation

Norbert Philipp bespricht in dieser Kolumne die dringendsten Fragen der digitalen und analogen Kommunikation: Muss man zu Chatbots höflich sein? Wie schreit und schweigt man eigentlich digital? Heißt „Sorry“ dasselbe wie „Es tut mir leid“?. Und warum verrät „Smoke on the Water“ als Klingelton, dass ich über 50 bin.

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