Nachruf

Jane Birkin: Ihr Stöhnen machte sie zur Legende

Ein Rendezvous aus Kühle und Melancholie: Jane Birkin
Ein Rendezvous aus Kühle und Melancholie: Jane BirkinAPA / Parschauer
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Jane Birkin, Ikone der Popkultur, starb am Sonntag mit 76. Mit „Je t’aime (moi non plus)“ gelang ihr ein Skandalhit. Aber sie war auch Schauspielerin und Taschen-Designerin.

Aus dem Nichts kam sie gerade nicht, als sie 1969 bei den Dreharbeiten zum Streifen „Slogan“ jenen Mann kennenlernte, der ihr Schicksal werden sollte. Jenen hoch talentierten, aber ein wenig halbseidenen Serge Gains­bourg, der angeblich Angst vor großen Busen hatte.

Die zunächst gar nicht in dessen Beuteschema passende, allerdings androgyne Jane Birkin hatte davor schon an der Seite von Romy Schneider und Alain Delon in „La Piscine“ („Der Swimmingpool“) gespielt. Davor zeigte sie sich in Michelangelo Antonionis Kultfilm „Blow Up“ vollkommen nackt. „Schamhaarskandal“ nannte das die Presse.

Mit ihrem neuen Filmpartner Gainsbourg glückte ihr mit dem Stöhn-Duett „Je t’aime . . . moi non plus“ nicht nur ein Millionenseller, sondern auch ein signifikanter Moment der Kulturgeschichte. Sogar der Vatikan fühlte sich bemüßigt, einen Bannfluch auszusprechen. Das heizte das Interesse natürlich nur weiter an. Mehr als sechs Millionen Mal verkaufte sich das gefährliche Chanson, das Gainsbourg zwei Jahre zuvor schon mit Brigitte Bardot aufgenommen hatte.

Birkin mit Gainsbourg
Birkin mit GainsbourgImago / Imago Stock&people

Dabei war diese erste Aufnahme deutlich dezenter. Die Heftigkeit des Birkinschen Stöhnens empörte nicht nur Papst Paul VI., sondern vor allem auch die Sendeverantwortlichen vieler Radios. Dabei wurde das Lied von Freund und Feind missverstanden. Es war nicht als Hymne zur sexuellen Befreiung gedacht, sondern thematisierte die Unfähigkeit zur körperlichen Liebe. „L’amour physique est sans issue“, hieß es darin. 

Aufgenommen wurde in getrennten Kabinen im Marble Arch Studio in London. Durch wildes Winken verständigten sich die beiden, in welcher Sekunde es zum berüchtigten hellen Orgasmusschrei kommen musste. Am Ende wurde dieses markante Kieksen nicht nur der Auftakt ihrer beider Ehe, sondern auch der Anlaut zu Birkins eigener Gesangskarriere.

Das bald folgende erste Album kapitalisierte den Erfolg von „Je t’aime . . . “ weiter. 1975 gelang ihr mit „Lolita Go Home“ ein Meisterwerk. Mit geglückten Interpretationen von Cole-Porter-Songs versuchte sie sich von Gainsbourg zu emanzipieren. Er habe sie nach seinen Vorstellungen geformt, stellte sie, die Zeit ihres Lebens auf ältere Männer stand, ohne Reue fest.

Gefährtin reiferer Männer

Mit 17 lernte die im hippen Londoner Bezirk Chelsea aufgewachsene Offizierstochter den damals 32-jährigen Filmkomponisten John Barry kennen, der u. a. die Musik für den James-Bond-Film „Goldfinger“ schrieb. Nach Ende der Beziehung mit Gainsbourg war Birkin mit dem Regisseur Jacques Doillon zusammen. Mit jedem von ihnen hatte sie eine Tochter. Die 2013 freiwillig aus dem Leben geschiedene Kate Berry war Fotografin. Lou Doillon und Charlotte Gainsbourg wurden beide selbst erfolgreiche Sängerinnen.

Imago / Snc / Tritone Cinematografica Via Www.imago-images.de

Es war eher Segen als Fluch, dass sich Birkins piepsige Mädchenstimme, in der sich angelsächsische Kühle und französische Melancholie ein permanentes Rendezvous gaben, auch in ihren reifen Jahren hielt. Während ihre Filmkarriere auf vergleichsweise kleiner Flamme dahinköchelte, konnte sie in der Musik bald auf ihren Ikonenstatus zurückgreifen. Als Schauspielerin blieb nur ihre Hauptrolle in „Je t’aime“ an der Seite von Warhol-Schauspieler Joe Dallesandro und unter Regie von Serge Gainsbourg im Gedächtnis haften.

Ihr Hund musste mit

Als Sängerin gewann sie höhere Statur. Nicht zuletzt mit Vertretern der Popmusik der jüngeren Generation, die sich darum rissen, ein Duett mit ihr einzuspielen. So etwa auf „Rendez-Vous“ im Jahr 2004, wo Jarvis Cocker, Beth Gibbons und Jamie Lidell mit ihr sangen. Egal, mit wem sie ins Studio ging, wichtig war ihr, dass ihr Hund mitdurfte. Der hieß Dora, benannt nach der berühmten Patientin Sigmund Freuds, an deren Fall er das Phänomen der Übertragung darstellte.

Imago / Brigani-art/heinrich Via Www.imago-images.de

Birkin las viel Freud, aber über eine Psychoanalyse traute sie sich letztlich doch nicht drüber. Ihr letztes, mit dem französischen Superstar Étienne Daho eingespieltes, Album „Oh! Pardon tu dormais . . .“ erschien 2020. Darauf brillierte sie mit einem bunten Kaleidoskop aus idyllischen und gespenstischen Sprachbildern. Trunkene Todeswalzer und ambivalent-erotische Chansons wechselten einander ab. Birkin war damals schon an Leukämie erkrankt.

Es war 1981, als Birkin zufällig auf einem Flug von Paris nach London den Geschäftsführer von Hermès kennenlernte. Gerade war ihr alles aus der Tasche gefallen. Die beiden kamen ins Gespräch. Auf einem Speib­sackerl zeichnete sie ein mit reichlich Innentaschen versehenes Modell der später nach ihr benannten Kulttasche. Mit ihrem Tod werden die davor schon exorbitanten Preise der Birkin-Bag aus dem Hause Hèrmes an denselben Ort ziehen wie wohl die Seele der Verstorbenen: himmelwärts.

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