Porgy & Bess

Eine Frau von charmanter Flegelhaftigkeit

Samir H. Köck
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Ihr liegt nicht nur die Jazzwelt zu Füßen: Altsaxofonistin Lakecia Benjamin begeisterte in Wien.

„I like rowdy people”, ermunterte sie die zunächst ein wenig schüchtern wirkende Menge. Bald hatte sie die Leute aber dermaßen auf Betriebstemperatur, dass, wer die Augen schloss, hätte glauben können, in einem Klub in Harlem zu sein. Gejohle, Gestampfe und verbale Interaktionsversuche, auf die die wilde Künstlerin gern einging. Es war sicher nicht allein ihre superbe Technik am Altsaxofon, sondern dieses fordernde Temperament, das ihr in den letzten Jahren so viele Türen öffnete. Zunächst im R&B, bei dem sie mit allen von Prince bis Alicia Keys spielte. Dann im Jazz, als sie der legendäre Saxofonist Gary Bartz als Mentor betreute. Ja, sogar die irische Rockband U2 engagierte sie 2019 für ein Konzert im Apollo Theater in Harlem. Ein Event, das sie ein wenig unwirklich empfand. Gerade deshalb habe es ihr Spaß gemacht.

Sie, die nicht mit Jazz aufgewachsen ist, war von Anbeginn eine eifrige Forscherin der afroamerikanischen Musik. „I had to bump into everything“, meinte sie vor ihrem Aufritt zur „Presse“. Ihr aktuelles Album „Phoenix“ wurde eine generationenübergreifende Angelegenheit – ein Meisterwerk. Von Tastenkönigin Patrice Rushen (unvergesslich ihr Disco-Funk-Hit „Forget Me Nots“, den George Michael für seinen Song „Fast Love“ kaperte) über den jüngst verstorbenen Saxofon-Titanen Wayne Shorter bis hin zu Bürgerrechtlerin Angela Davis machte eine Vielzahl an namhaften Künstlern bei einem Album mit, das wie ein Audiobook wirkt.

Die Macht von Kontrasten

Lyrik, politische Prosa und aggressive Raps mischen sich mit Funk und Jazz der Extraklasse. Live, in schlichter Quartettbesetzung im Porgy & Bess, war dieses üppige Klangbild nicht ganz umzusetzen. Die Spielfreude der vier Musiker machte dieses Manko allerdings wett. Schon als zweite Nummer des Abends präsentierte sie ihr wütendes „Amerikkan Skin“, ein Jazz-Rap-Stück, in dem sie immer wieder die Losung „I am somebody!“ rief. Dann zitierte sie Charles Mingus mit dessen sarkastischem Titel „Oh Lord, Don’t Let Them Drop That Atomic Bomb on Me“ und kommentierte knapp: „It’s not for me.“ Unmittelbar an ihren furiosen Rap schloss eine seltsam besänftigende Melodie an. Diese Frau weiß um die Macht von Kontrasten.

Das wunderbar groovende „Jubilation“ fuhr gewaltig in die Beine. Die ganz im Duktus von John-Coltrane-Balladen gestaltete Eigenkomposition „Trane“ war Vorbote einer rasanten Version von „My Favourite Things“ und einer überaus würdigen Interpretation von „Alabama“ und „A Love Supreme“, Stücken, die Agonie und Ekstase auf rätselhafte Weise fusionierten. Von komplexen Skalen erholte sich diese Virtuosin dann bei radikal simplen Funkstücken, die klar der Ästhetik von James Brown geschuldet waren. Der kurioseste Moment des Abends aber war eine trunken wirkende Version des alten Kirchenlieds „Amazing Grace“. So einen packenden Mix aus Sinnlichkeit und Spiritualität schafft tatsächlich nur das schwarze Amerika.

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