Jazzkritik

Inntöne: Urbane Sounds am Bauernhof

Auch ein „Country Preacher“? David Helbock beim Festival Inntöne.
Auch ein „Country Preacher“? David Helbock beim Festival Inntöne. Samir H. Köck
  • Drucken

Die 31. Ausgabe des über die Landesgrenzen beliebten Inntöne-Festival war heuer besonders bunt programmiert. Wildefranzösische Damenavantgarde,  Soul à la Amy Winehouse, Wüstenblues von Vieux Farka Touré und David Helbocks innige Hommage an Joe Zawinul waren Highlights.

„Kannst rascheln?“, fragt der Wiener in den entern Gründ´, wenn er sich erkundigen will, ob sein Gegenüber genügend Bargeld eingesteckt hat. Auch Joe Zawinul, Kind dieser Stadt, das mit nur drei Schnitzelbroten und 800 Dollar nach New York ausgewandert war und zum Weltbürger des Jazz, ließ die Frage nach dem Geld nicht los: Sein erstes Soloalbum nannte er nicht zufällig „Money In The Pocket“. Genau mit dieser groovigen Hard-Bop-Nummer eröffnete David Helbock die Inntöne mit seinem - auch im Namen an das Zawinul Syndicate angelehnten - Projekt Austrian Syndicate. Wobei er etwas tat, was sein Vorbild Zawinul nie praktizierte: Er spielte gleichzeitig das erdige Fender-Rhodes-E-Piano und diverse Synthesizer. Bei Zawinul, den er einst als Kind in Vorarlberg spielend kennenlernen durfte, war es ein Hintereinander: Erst kostete er die E-Piano-Klangwelt im Sextett von Cannonball Adderley aus, erst dann forschte er mit seiner Siebzigerjahre-Kombo Weather Report mit ganzen Wagenladungen unterschiedlicher Synthesizer.

Die abendliche Sommerluft war schon schön seidig, als sich die sanften Klänge von „The Ups and Downs“ auf die Landschaft legten. Der ferne Bach murmelte, das Blätterdach des nahen Waldes schien bejahend zu rascheln angesichts dieser exotischen Winde aus den Synthesizern. Was ist das überhaupt für eine Idee, den Jazz, diese urbane Musik, auf den Bauernhof zu bringen? Inntöne-Intendant Paul Zauner, geboren im Innviertel, wollte wohl die Welt zu sich nachhause holen. Auch er ist eine Art „Country Preacher“, wie Zawinul einst Jesse Jackson bezeichnete und ihm eine Komposition widmete. Zuerst fand sein seit 1995 bestehendes Festival auf den Schlösser Sigharting und Zell/Pram statt, seit 2002 ist es auf dem Biobauernhof Zauners ansässig. Seither hat er mit seiner stilistischen Offenheit Legenden aus aller Welt in das sanft hügelige Idyll mit der Postadresse Froschau 4 gebracht.

18 Stunden mit dem Zug aus Frankreich

„The middle of nowhere“ nannte das das französische Trio Nout. 18 Stunden seien sie im Zug hierhin gefahren. Und bereuen würden sie keine Minute. Das aufgeschlossene Publikum jubelte ihrem avantgardistischen Sound vital zu. Elektrische Harfe, Flöte, Schlagzeug und Silbengesang, das ist keine Standardbesetzung. Die drei Damen hegten eine Vorliebe für tumultarische Sounds. Die kleinen, lieblichen Interplays waren nur zum Necken da und als kleine Rastplätze fürs angestrengte Gemüt. Weil die Dramaturgie der Zauners, auch Gattin Mirja werkt seit acht Jahren leidenschaftlich mit, eine ausgleichende ist, gab es bald auch sanfte Texturen. Die norwegische Saxofonistin Mette Henriette wuchs wohl mit Jan Garbarek auf. Sie entführte in elegische Seelenlandschaften, das Balanescu Quartet davor tief in die Melancholie Osteuropas.

Mit Zara McFarlane war eine junge Sängerin aus Großbritannien zu Gast, die der junge Radiohörer bestens aus Gilles Petersons Sendung „Worldwide“ kennt. Mit Finesse mischte sie Jazz und Reggae und bestach mit einer souligen Stimme, die Assoziationen mit der vor zwölf Jahren verstorbenen Amy Winehouse auslöste. Die der Klassik in den Jazz entsprungene, deutsche Pianistin Johanna Summer war die Sensation des Sonntag. Mit hoch flexiblen Fingern posierte sie im klug imaginierten Personalstil von Komponisten wie Schubert und Ligeti und überführte deren Ästhetik in den Bereich der freien Improvisation. Das finale Tanzkommando sprach dann nachts Vieux Farka Touré aus. Wie sein berühmter Vater Ali führt auch er eine Landwirtschaft. Obwohl er zuletzt mit dem gemeinsam mit der texanischen Band Khruangbin eingespieltes Album die Charts stürmte, verdient er im Zeitalter des Streaming als Bauer wohl mehr „Gerstl“ als mit der Musik. Das Match zwischen urbaner Strenge und ländlicher Ausgelassenheit ging jedenfalls zugunsten letzterer aus. 

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.