Ikonen der österreichischen Küche

Elisabeth Grabmer: Autodidaktin mit Garnadel und Gespür

Harald Dostal
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Elisabeth Grabmer kochte eine Jausenstation im Hausruckwald zu einer Feinschmeckeradresse hoch. Wer sie und ihren Sohn Clemens besucht, versteht, warum die Waldschänke nahezu immer gut gebucht ist.

Das hat die Mama gemacht, mit einer Garnadel“, sagt Clemens Grabmer und serviert das perfekt in sommerlich hellem Rosa gehaltene Nüsschen vom Zackelschaf, dem mit beeindruckenden Hörnern ausgestatteten Tier, das Grabmer von einer Züchterin aus der Nachbarschaft bezieht.

Eine Garnadel als Statement gegen technische Hilfsmittel, die heute in der Spitzenküche unverzichtbar scheinen, da und dort zweifellos von Nutzen sind. Als Clemens‘ Mutter Elisabeth Grabmer mit dem Kochen begann, gab es weder Hold-o-mat noch Pacojet. Aber Manche Köche brauchen nicht mehr als einen Topf oder eine Pfanne und eine Herdplatte, um ein mitreissendes Essen zu zaubern.

Elisabeth Grabmer brauchte nicht einmal eine Ausbildung als Köchin. Es ist der sprichwörtliche Sprung ins kalte Wasser, als sie sich in die Küche der Waldschänke begibt. Ihr Mann Heinz hat die ehemalige Jausenstation als Treffpunkt für Liebhaber guter Weine etabliert und ist vom Ehrgeiz beseelt, etwas Besonderes zu schaffen. Etwas, das er aus seinen Ausflügen nach Frankreich und Italien kennt. Und nicht aus Berufung, sondern weil es schließlich jemand machen muss, greift die eigentlich im Service ausgebildete Elisabeth zu Kochlöffel und Pfanne. Kurze Zeit nach der Hochzeit ist die erste Tochter unterweg, auf der Entbindungsstation liest Elisabeth Kochbücher. Zwei Kochkurse bei Johann Neuhofer, in den 80ern und 90ern Küchenchef bei Schafelner in Haag im Mostviertel. Mehr ist nicht.

Gefüllte Wachteln? Taubenbrust?

Heinz Grabmer ist besessen von Qualität und schaukelt sich mit Freunden und Kollegen immer höher in den Ansprüchen an sich selbst, seine Weinkarte – und auch die Küche seiner Frau. Man bietet kulinarische Events und kocht Menüs zu den Themen „Kulinarischer Blütenzauber“, „Rund ums Bier“, „Mediterrane Impressionen zur Urlaubszeit“ oder auch einmal zu Champagner.

Elisabeth Grabmer im Klartext: „Einmal kündigte er ein Menü mit Taubenbrust und gefüllten Wachteln an, und ich fragte mich als junge Köchin, wie ich das hinkriegen sollte.“ So ging jedem Menü ein intensives Studium von Kochbüchern und Zeitschriften voraus. Die Autodidaktin, die nie in einer großen Küche gearbeitet hatte, kochte für ihre Restaurantgäste nach der Methode vieler Hobbyköche: Man liest sich ein Rezept an und bereitet es zu.

Elisabeth Grabmer darf als Ausnahmeköchin bezeichnet werden. Überhaupt: Köchin. Geschlechterquoten mögen in deutschen Aufsichtsräten oder auf Unis anwendbar sein, in der freien Marktwirtschaft der Gastronomie bewirken sie wenig. Es ist auffallend, dass es an der Spitze der Gastronomie so wenige Frauen gibt. Nadja Santini in Italien oder Anne Sophie Pic in Frankreich bilden Ausnahmen. Ana Roš aus Slowenien wurde auf allen möglichen Festivals herumgereicht, als beste Köchin der Welt bejubelt.

Warum sehen wir so wenige Köchinnen an der Spitze, oder sind es vielleicht mehr als man denkt, und man kennt sie zu wenig? „Oft halten sich Frauen eher im Hintergrund und gehen nicht nach vorne“, sagt Elisabeth Grabmer. „Sigi Schelling aus dem Tantris in München, viele Jahre Souschefin von Hans Haas, war nur Insidern bekannt, jetzt hat sie in München ihr eigenes Restaurant und ist täglich ausgebucht.“

Und weiter: „Vielleicht gibt es auch noch ein altes Rollenbild, er in der Küche, sie im Service. Und der Beruf ist nicht unbedingt familienfreundlich. Vor allem für angestellte Köchinnen stellt sich die Frage: Wie weiter und wohin mit den Kindern? Unsere drei Kinder sind in der Küche aufgewachsen, haben alles mit bekommen, wir haben alle zusammengehalten. Die Selbständigkeit treibt dich an, man tut es nicht nur für sich, sondern auch für die Familie und den Betrieb. Man kann nicht zusperren. “

Beliebtes Familienrezept der Grabmers sowie ein Evergreen unter den Stammgästen ist der Hendlsalat „ganz straight“, wie die Köchin betont. Es gibt ihn seit mehr als 30 Jahren. Aus Olivenöl, Nussöl, Balsamico, Pinienkernen, Rosinen und Rosmarin mischt man eine Marinade und lässt sie einmal kurz aufkochen. Eine Hühnerbrust wird in etwa eineinhalb Zentimeter große und breite Würfel geschnitten, diese sanft gebraten, sie kommt aus der Pfanne und wird mit der Marinade übergossen. Schmeckt am besten lauwarm, so die Küchenchefin. Ihr Sohn Clemens Grabmer hat das Gericht unlängst neu interpretiert, eine Vorspeise daraus gemacht. Er steht unter Genieverdacht.

Elisabeth Grabmer erzählt: „Mit drei Jahren hat Clemens Jamie Oliver aus dem Fernsehen nachgekocht. Er machte Ravioli, ging zu den Köchen in die Küche, bat um Mehl, Wasser, Topfen und Salz, dann ging er nochmal zu den Köchen und fragte nach Butter, um daraus braune Butter zu machen.“ Als Clemens in den Kindergarten ging, begab es sich, dass er jede Woche zu Geburtstagsfeiern eingeladen wurde. Die Eltern kamen bald dahinter, warum der Bub überall auf der Gästeliste stand, selbst bei Freunden, von deren Namen sie nie zuvor gehört hatten. „Clemens‘ Talent hat sich herumgesprochen. Wahrscheinlich waren es die Mütter der Einladenden, die sagten: ‚Ladest du eh den Clemens ein.‘ Seine selbst gebackenen Brownies waren einfach so gut.“

Clemens lernte dann später in der Küche seiner Mutter, war zwei Jahre Teil des Teams der Döllerer-Küche in Golling, um wieder nach Grieskirchen zurückzukehren. Seine Gerichte folgen einer klaren Linie und sind hervorragend abgeschmeckt, etwa Zucchini, die er – vorher allerdings gegart und nicht roh – wie ein Ceviche mit Verjus zubereitet, dazu süße, fast schwarze Kirschen und Frischkäse: ein Sommerteller, wie er besser nicht vorstellbar ist. Von Kartoffeln nimmt Grabmer die Schalen und röstet sie, vermischt diese mit Ziegenmilch-Molke. Aus den Kartoffeln selbst bereitet er zusammen mit Ziegenkäse ein so herzhaftes wie delikates Gratin zu, das wegen seiner Frische und Säure auch im Juli schmeckt, wenn die Gäste der Waldschänke auf einer Wiese unter altem Baumbestand schmausen und man sich keinen schöneren Ort vorstellen kann.

Aus Gewürzen (falls Sie an Details interessiert sind: 2 El gemahlener Ingwer, 2 El Curcuma, 3 El Oregano, 1 El Muskatblüte, 1 El Kümmel, 1 El Zimt gemahlen, 1 El Nelken, 1 ½ El Bohnenkraut, 20 Piment) hat Clemens Grabmer eine eigene Mischung zubereitet. Sie verleiht dem Reisfleisch mit den fetteren Stücken des Zackelschafs eine besondere Magie, und es kann vorkommen, dass der Gast um einen Nachschlag fleht, so gut schmeckt das. Im Frühjahr stutzte ein Sturm den 300 Jahre alten Kirschenbaum. Aus den Trieben gewann man Öl, aus dem ein Eis gemacht wird, Eis vom Weichselastöl, kombiniert mit Grießflammeri.

Aristo-Hochzeiten

Von den Mühen, die es anfänglich kostete, eine feine Adresse zu etablieren und hochzuziehen, weiß die Generation unter 35 höchstens aus Erzählungen. Die Grabmers verdienten sich ihr Zubrot beim Ausrichten von Festen für Wohlgeboren und Reich. „Bei diversen Aristo-Hochzeiten brauchten wir vier Tage, um ein Fest aufzusetzen, da gab es in den oft unrenovierten Burgen und Schlössern keine Infrastruktur, auch keine Wasserleitungen, und dementsprechend war das Kulinarische weniger wichtig“, sagt Elisabeth Grabmer. „Es zählte die Logistik und dass man 250 Gäste in kurzer Zeit abfertigte.“ Die mussten nämlich schnell was zu essen bekommen, weil danach die Post abging, mit Musik und harten Getränken. „Gab es am nächsten Tag noch Brunch, ist es weniger ausgeartet,“ erzählt Elisabeth Grabmer. „Die Mitarbeiter waren früher selbst bis zum bitteren Ende dabei, die haben gut verdient, und hatten eine Gaudi.“

Man hört das öfter von Menschen, die den Beruf im Service schon länger als ein paar Jahre machen. Das Goldene Zeitalter waren die Siebziger, Achtziger und Neunziger. Für die meisten sind die fetten Jahre lange vorbei, spätestens seit der Staat für jedes Cola und jeden Espresso einen Beleg sehen will.

Kein Futterneid

Elisabeth und Heinz Grabmer, der für eine intelligent und zeitgemäß zusammengestellte Weinkarte verantwortlich zeichnet (PetNat von Armin Kienesberger, weiße Bordeaux!), haben die Zeit des Aufbruchs miterlebt. Namen wie Eschlböck in Plomberg, Häupl in Seewalchen oder Schafelner in Haag erinnern an die Anfänge der Gourmandise im Oberösterreichischen. Was war damals anders? „Kollegen tauschten sich nicht aus, sie richteten sich aus“, sagt Elisabeth Grabmer. Es habe keinen Zusammenhalt gegeben, Adressen von Produzenten wurden gehütet wie der Apfel vom Aug‘. Clemens Grabmer ist in einem anderen Umfeld aufgewachsen. Unter den Jungen gäbe es keinen Futterneid, sagt die Mama. Und das freut sie.

Nächste Folge: Karl und Rudi Obauer

Steckbrief

Elisabeth Grabmer kommt über ihren Mann Heinz Grabmer, der in der Nähe von Grieskirchen eine Jausenstation betreibt, in die Küche. Ohne Kochausbildung macht sie sich am Herd an die Arbeit, erwirbt Kenntnisse aus der Lektüre von Kochbüchern und Kochkursen.

Neben dem Restaurantbetrieb verdienen Heinz und Elisabeth Grabmer sich die Butter aufs Brot mit Catering. Ab der Mitte der 90er Jahre wird die Mühe belohnt. Elisabeth Grabmer erhält Auszeichnungen in allen relevanten Restaurantführern, sie schreibt eine Kolumne in der Süddeutschen und kocht in der First-Class der Lufthansa.

Grabmer ist Mutter von drei Kindern, sie teilt sich seit einigen Jahren die Verantwortung in der Küche mit ihrem Sohn Clemens, der zu den Besten seiner Generation gehört.

Auf einen Blick

Seit rund 30 Jahren betreiben Heinz und Elisabeth Grabmer die Waldschänke in Grieskirchen. In dieser Zeit hat sich einiges getan, die Grabmers haben das Wirtshaus von der Jausenstation, in der Taufen und Leichenschmause stattfanden, zu einer Adresse für Feinschmecker gemacht. Heinz Grabmer kümmert sich dabei um Wein und Wohlfühlatmosphäre, in der Küche werkt Elisabeth Grabmer, inzwischen Seite an Seite mit Sohn Clemens.

Die Waldschänke ist mit drei Hauben ausgezeichnet und wurde 2022 in Österreich zum Wirtshaus des Jahres gekürt, ist aber auch überregional bekannt: Unter anderem, weil Elisabeth Grabmer als Teil des Kochquartetts eine regelmäßige Rezeptkolumne im Magazin der Süddeutschen Zeitung hat.

Gelegen ist die Waldschänke im oberösterreichischen Grieskirchen (Kickendorf 15), Öffnungszeiten: Di 11.30–14 Uhr, Mi–Sa 11:30–14 Uhr und 18–24 Uhr. www.waldschaenke.at

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