Popfest Wien

Salò beim Popfest Wien: Triumph eines Fieberkopfs

„Geil auf Betong“: Chef der Band Salò, beim Popfest Wien am Karlsplatz.
„Geil auf Betong“: Chef der Band Salò, beim Popfest Wien am Karlsplatz.Patrick Münnich
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Viele neue, schöne Namen locken heuer auf den Karlsplatz zum Popfest Wien. Am ersten Abend hat sich nur einer in die Seelen der Hörenden tätowiert: Salò. 

Subjektiv betrachtet, gibt es mich eigentlich gar nicht mehr“, röhrte Andreas Binder, dieser wortspuckende Fieberkopf aus Graz, ins Gemenge am Karlsplatz. Dazu boxte und kickte er in die schwarze Luft. Spukten dort nokturne Geister herum? Falls ja, dann wurden sie von der wüsten Musik von Salò mächtig durchmassiert. Das ist Punk und Brachialschlager in einem. Zuweilen gewürzt von giftigen Saxofonklängen oder aufgemischt von einer Orgel, wie sie einst Schlagerlegende Michael Holm in seiner Version des Sir-Douglas-Quintet-Hits „Mendocino“ aufheulen ließ.

Tatsächlich war dieser punkige Gestus hierzulande völlig verschwunden, bevor diese Grazer Gruppe via Berlin auftauchte. 2022 suchten viele Berlinbesucher jene Edeka-Filiale, in der die von ihnen besungene Apollonia hinter der Kassa sitzt. Gefunden hat sie bislang niemand. Außer eben Binder, der dort gerne bar bezahlt, wie er in der letzten Nummer seines stürmischen Sets berichtete. Zugabe darf niemand sagen, denn Salò beginnen gleich nach der Eröffnungsnummern mit den Zugaben. Also jenen Songs, die krachen, summen und doch irgendwo eine klandestine Melodie transportieren. „Leuchtstoffromantik ist alles, was ich will“, postulierten sie da.

Seit dem Theaterdichter Werner Schwab hat hierzulande niemand mehr so kraftmännisch und gleichzeitig doch sensibel formuliert. „Wenn das Leben eine Scheibe ist, dann wär ich gern ein Boot, dann fahre ich bis ans Ende der Welt und werf mich selbst über die Reling“, sang er. Jäh mischten sich Ruppigkeit und Romantik. „Deine Augen sind mein Spiegelbild, ich fühl mich sonst allein, lein, lein, lein. Leih mir dein Ohr, weil ich mich sonst nicht hören kann.“ Wenn dieser Mann die Minne macht, dann tut er es mit entschiedener Härte. „Ich bin kein Mann für schöne Stunden, ich bin ein Mann für den Moment. Ich küsse ohne Zunge, ich streichle den Zement.“ Entgegen dem Trend, die Stadt zu einer Art Wald zu machen, bittet er den Bürgermeister, das Grüne wieder grau zu machen. Denn: „Ich bin geil, geil auf Betong (sic!), geil auf Zement, mach die Beine breit und piss in meine Welt.“

Rapperin Donna Savage auf der Seebühne am 14. Wiener Popfest.
Rapperin Donna Savage auf der Seebühne am 14. Wiener Popfest.APA / Eva Manhart

Lieblingsinstrument: das Publikum

Dazu klapperten die Staberln von Max auf die Felle, schrubbten die Finger von Mini hektisch die Rhythmusgitarre. Die Kraft dieser Musik stellte die Nackenhaare auf, war auch deutlich in den Eingeweiden zu spüren. Die Intonation Binders hat etwas unverschämt Dringliches. Es wirkt, als müsse er permanent Ungemach von sich abschütteln. Seine Mischung aus Authentizität und Künstlichkeit verführte zu frenetischem Applaus. Binder war gerührt. „Ihr seid mein Lieblingsinstrument!“ schrie er – und coverte den Hit einer Band, die so out ist wie wenige sonst. Die Rede ist von der Flensburger Poptruppe Echt und ihrer Schnulze „Du trägst keine Liebe in dir“.

Binder hatte mittlerweile sämtliche Geister auf seiner Seite. Und so impfte er dem eigentlich unerträglichen Text Vitalstoffe ein. Als Pointe spielte er Connie Francis‘ „Die Liebe ist ein seltsames Spiel“ ein, schwärmte dann von seiner ehemaligen AMS-Betreuerin, die ihn nicht vermitteln konnte. Ihr verdankt er auf gewisse Weise seine Künstlerexistenz. Da war es nur billig, ihr ein Lied zu schreiben, das den schönen Titel „AMS (Heiter bis wolkig)“ trägt.

Die Dramaturgie war großartig. Es ratterte nur so dahin. „Ich schlafe mit der Polizei.“ behauptete er kühn in „Glock 17“, erzählte in „Bonjour Tristesse“ von Küssen, die nach San Pellegrino schmecken. „Solange wir jung sind, sind wir wilde Tiere.“ warf er der Dame seiner Gunst hin. Es folgte ein kleines Anliegen: „Verschwende deine Jugend nicht, verschwende mich.“ Die gute alte Selbstvergeudung, sie droht ja in Zeiten der Selbstoptimierung zu verschwinden. Salò setzten ihr ein Denkmal. Binder hatte das sonst so gerne zerstreut zuhörende Popfestpublikum fest im Schwitzkasten.

Uche Yara auf der Seebühne am Karlsplatz im Rahmen der Eröffnung des 14. Wiener Popfests.
Uche Yara auf der Seebühne am Karlsplatz im Rahmen der Eröffnung des 14. Wiener Popfests.APA / Eva Manhart

Donna Savage: eher mau

Der Rest des Eröffnungstages auf der Hauptbühne war dann eher mau. Vor Salò rappte Donna Savage recht laues Zeugs. Angeblich ist sie gebürtige Wienerin. Aus ihrem Mund schlängelte sich allerdings viele bundesdeutsche Vokabel wie „labern“ und „Kippe“. Stücke wie „Blutwiese“ sollten bedrohlich wirken, waren aber in ihrer bemühten Krassheit nur lächerlich. Die Beats von Brenk Sinatra waren von hoher Güte, den Rest vergessen wir. Auch Uche Yara rissen nicht vom Hocker. Zuviel Sound, zu wenig Struktur in der Musik. Das reicht als Hintergrundberieselung, aber zu nicht mehr. Aber mehr als eine umwerfende Performance pro Konzertabend braucht ohnehin niemand. Und die war von Salò. Danke.

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