„3096 Tage“: Mit Natascha Kampusch im Keller

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Weltpremiere von „3096 Tage“ in Wien: Sherry Hormanns Film wirkt wie ein TV-Spiel, das versucht, Rücksicht auf die Betroffenen zu nehmen. Ab 28.2. im Kino.

Die einleitende Szene wirkt vertraut, sie könnte fast überall in Österreich spielen: Menschen beim Skifahren, in sauber weißer Pracht. Doch dieser auf den ersten Blick unspektakuläre Ausflug in die Alpen wird dramatisch mit einer Stimme aus dem Off begleitet: „Es war klar: Nur einer von uns beiden würde überleben. Am Ende war es ich, nicht er.“ Spätestens jetzt weiß jeder, der die Autobiografie des Entführungsopfers Natascha Kampusch gelesen hat, dass hier die Erzählerin von „3096 Tage“ spricht, die 2010 auf 300 Seiten bewältigt hat, dass sie 1998 als Zehnjährige mutmaßlich von Wolfgang Priklopil entführt, 3096 Tage in einem eigens dafür gebauten Verlies in seinem Keller eingesperrt war und schließlich 2006 flüchten konnte. Der Täter wurde dann tot auf den Geleisen gefunden.

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Unerhörter Hilferuf auf der Toilette

Aus diesem zur Weltsensation hochgespielten Thema eines kleinbürgerlichen Verbrechens, einem Drama, das sich am Rande von Wien ereignete, hat Regisseurin Sherry Hormann („Wüstenblume“, „Anleitung zum Unglücklichsein“) einen Kinofilm gemacht, der sich an die Autobiografie anlehnt. Am Montag war in Wien die Weltpremiere angesetzt, bei einer Gala am Wienerberg. Die Idee zu dem Filmprojekt stammt noch vom vor zwei Jahren verstorbenen deutschen Produzenten Bernd Eichinger, der das Drehbuch mitverfasst hat. Ästhetisch wirkt das fast zweistündige Werk wie eine Fernseh-Doku-Soap, die versucht, Rücksicht auf die Betroffenen zu nehmen.

Ja, es gibt, anders als im diskreten Buch dargestellt, eine explizite Sexszene zwischen Täter und Opfer, aber erst, als das Mädchen ein Teenager ist. (Das Kind wird von der Britin Amelia Pidgeon gespielt, der Teenager von Antonia Campbell-Hughes, äußerst mager und verletzlich). Die Bettdecke bleibt drauf, als sich Priklopil (der Däne Thure Linhardt) dem Mädchen nähert, das er sich zuvor schon mehrmals gefesselt zum Kuscheln geholt hat. Es lässt diese kriminelle Annäherung fast willenlos geschehen. Ein Hilferuf kommt sehr spät, beim Skifahren. Kampusch darf allein auf die Damentoilette gehen, sie sagt einer Frau, dass sie ein Entführungsopfer sei. Doch die kann nicht Deutsch und geht einfach weg. Solche Momente signalisieren Spannung, bleiben aber diffus und kraftlos, selbst wenn manche Flashbacks in Zeitlupe erfolgen.

Einmal zeigt sich tatsächlich dramatisches Gefühl, bei der Flucht, die dem Mädchen am Ende gelingt: Priklopil ist durch einen Anruf abgelenkt, Kampusch kann unbemerkt durch die geöffnete Gartentür entkommen, sie irrt durch die Siedlung, ist desorientiert, all die Häuser schauen für sie anscheinend gleich aus. Sie trifft in einem Schrebergarten auf eine alte Frau. Die stellt die Flüchtende wegen ihres Eindringens lautstark zur Rede. Schon aber ist nach einem Schnitt die Polizei vor Ort. Achtung Spoiler! Es geht gut aus. Das Opfer überlebt. Der Täter stellt sich auf abgelegene Geleise. Der Zug nähert sich. Cut.

Machtkämpfe wegen zu viel Schokolade

(c) APA

Die visuelle Umsetzung lässt kaum vermuten, dass Hormanns Gatte Michael Ballhaus an der Kamera war. Statt seiner barocken Fahrten in Filmen von Martin Scorsese oder Rainer Werner Fassbinder gibt es hier deutsche Nüchternheit. Die Synchronisation der britischen und skandinavischen Schauspieler bleibt unbefriedigend. Wenn Kampusch als Kind mit ihrem Vater ein Wirtshaus besucht, sieht das gekünstelt aus und hört sich vor allem falsch an. Es folgt ein Streit mit der Mutter, weil die Tochter ihrer Meinung nach zu viele Schokoladekekse isst. Diesen Vorwurf muss sich Natascha später auch von ihrem Peiniger gefallen lassen, der sie demütigt, schlägt, verletzt, missbraucht. Einige dieser Aufnahmen in dem Verlies erzeugen tatsächlich Klaustrophobie. Auch eine halbwegs glückliche Familienszene ist zu sehen: Natascha posiert vor ihren Eltern im Lolita-Gewand. Das wirkt allerdings fast so aufgesetzt wie der Streit um die Süßigkeiten.

Ein ausgesprochenes Muttersöhnchen

Die eigentliche Entführung mit dem weißen Lieferwagen ist unspektakulär geraten, erst als die Polizei den Täter befragt, wird wieder versucht, eine klassische Krimidramaturgie zu bedienen. Die Perspektive ist aber nicht konsequent durchgehalten, man sieht das Geschehen auch aus der Sicht Priklopils, ohne dass diese Figur wirklich fassbar wird. Klar scheint hier nur, dass es sich bei ihm um ein ausgesprochenes Muttersöhnchen handelt. Selbst in diesen Szenen wechselt die Regisseurin unvermittelt zu Kampusch unten in den Keller. Einen klaren Standpunkt durchzuhalten wäre wohl konsequenter gewesen. Mit einer fast reinen Sicht des Täters wurde das zum Beispiel beim österreichischen Film „Michael“ (2011) von Markus Schleinzer gezeigt, der sich vage an dem Fall Kampusch orientiert. Dieser Regisseur traut sich auch zu, dass sein Film richtig verstört. Was auch immer man von Schleinzers Provokation halten mag, Hormann mutet dem Zuseher viel weniger zu. „3096 Tage“ bleibt tauglich fürs Hauptabendprogramm im Fernsehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2013)

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