Die Rufe nacheiner Reform werden lauter. Kritiker nehmen den neuen Staatschef Xi Jinping beim Wort.
Peking. leePeking. Zum Auftakt des nationalen Volkskongresses, auf dem Chinas neuer Machthaber Xi Jinping auch offiziell zum Staatschef gewählt wird, mangelte es nicht an Appellen. Drei Beispiele: Die „Mütter von Tian'anmen“, ein Zusammenschluss von Angehörigen der Opfer von 1989, fordern die Aufklärung des brutalen Militäreinsatzes auf dem Tian'anmenplatz vor 24 Jahren. Auch einen internationalen Aufruf zur Freilassung des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo haben viele chinesische Staatsbürger unterzeichnet.
Und in einem offenen Brief appellieren 120 Intellektuelle an die Führung, den internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu unterzeichnen. Sie alle nehmen den frisch gekürten Parteichef der Kommunistischen Partei, Xi Jinping, beim Wort, der in den vergangenen 100 Tagen mehrfach Transparenz und politische Neuerungen versprochen hat.
Auf dem zweiwöchigen Nationalen Volkskongress (NVK), der am Dienstag begonnen hat, soll Xi auch offiziell zum neuen Staatschef gekürt werden. Auf dem NVK selbst wird es zu keinen Überraschungen kommen, nicken die 2978 Abgeordneten doch erfahrungsgemäß alle vorgegebenen Beschlüsse ab.
Keine Reformsprünge
Große Gorbatschow'sche Reformsprünge sollten nicht erwartet werden, sagt auch Sebastian Heilmann, Politologe und China-Experte der Uni Trier. Die neue Parteiführung wolle nicht die politische Kontrolle aufgeben, sondern die eigene Glaubwürdigkeit und Popularität stärken, die der alten Führung verloren gegangen ist. Wenn sich aber die Parameter für Meinungsäußerung und Korruptionsbekämpfung tatsächlich verschieben, dann seien das handfeste und zugleich populäre Reformen, vermutet der Politologe.
Die Zeichen mehren sich, dass es Xi Jinping ernst damit ist, die Grundlagen der Parteiherrschaft zu erneuern. Ein Blick nach Wukan stimmt wenig optimistisch: Das Dorf in der südchinesischen Provinz hat sich Ende 2011 freie Kommunalwahlen erkämpft, nachdem dort tausende Menschen tagelang gegen den örtlichen Parteisekretär protestiert und ihm Korruption und Landraub vorgeworfen haben. Die Bewohner verjagten Polizisten und Beamte und bildeten ein Verwaltungskomitee.
Die Provinzregierung von Guangdong lenkte ein und ließ in dem Dorf freie Wahlen zu – das erste Mal in der Geschichte der Volksrepublik. Ein Jahr später hat sich in Wukan Ernüchterung breitgemacht. Anführer des Protestes, die in den Gemeinderat hineingewählt wurden, sind aus Frust inzwischen zurückgetreten.
Pilotprojekt im Internet
Einen Schritt in Richtung Demokratie wagt Chinas neue Führung zumindest: Auf einer Internet-Plattform dürfen 600.000 Freiwillige – von insgesamt 1,34 Milliarden Chinesen – künftig ihre Meinung an die Zentralregierung in Peking richten, kündigte Liu Zhiming von der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften an. Das sind 0,05 Prozent.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2013)