Bischof Kräutler: 'Zeit reif für nicht-europäischen Papst'

Archivbild: Bischof Erwin Kräutler bei einem Österreichbesuch im Jahr 2010.
Archivbild: Bischof Erwin Kräutler bei einem Österreichbesuch im Jahr 2010.(c) APA/ROLAND SCHLAGER
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Ein nicht-europäischer Papst könnte ein "wirkliches Zeichen für eine weltumspannende" Kirche sein. Kräutler erwartet eine "Kursänderung" im Umgang mit der Befreiungstheologie.

Aus Sicht des aus Vorarlberg stammenden Bischofs der brasilianischen Amazonas-Diözese Xingu, Erwin Kräutler, ist die Zeit "sicher reif für einen Papst aus einem nicht-europäischen Land". Wenn das künftige Oberhaupt der Katholischen Kirche aus Afrika, Asien, Ozeanien oder Amerika käme, könnte dies auch ein "wirkliches Zeichen für eine weltumspannende" Kirche sein, betonte Kräutler unter Verweis auf die Grundbedeutung des Wortes "katholisch" gegenüber der Austria Presse Agentur. "Die Kirchen auf diesen Kontinenten sind relativ junge Kirchen im Vergleich zur Kirche in Europa, und damit könnte ein Papst aus einer jungen Kirche auch mit etwas mehr jugendlichem Elan verkrustete Strukturen abreißen und längst notwendige Reformen in Angriff nehmen."

Es tue Not, "die Fenster aufzureißen und das lebenswichtige Sonnenlicht hereinstrahlen zu lassen. Ich habe den Eindruck, dass in den vergangenen Jahrzehnten immer dichtere Jalousien gegen den Einfluss einer vermeintlich feindlichen Welt herabgelassen wurden. Türen und Fenster müssen endlich aufspringen. Und vielleicht kann das ein nicht-europäischer Papst, der nicht so sehr Jahrhunderte alten Strukturen verbunden ist, eher bewirken."

"Sekundär, woher er kommt"

Vorherzusagen, wie wahrscheinlich es ist, dass der Nachfolger von Papst Benedikt XVI. aus Lateinamerika kommt, sei "bei der Zusammensetzung des Kardinalskollegiums praktisch unmöglich": "Es ist auch wirklich sekundär, woher er kommt. Viel wichtiger ist es, dass er den Mut hat, einen Weg der Erneuerung und längst anstehender Reformen und nicht einer Restauration der alten Christenheit zu gehen und sich dabei auch von Gremien beraten lässt, die tatsächlich die Weltkirche vertreten."

Auf die Frage, ob es aus seiner Sicht wünschenswerte Kandidaten aus Lateinamerika gebe, meinte Kräutler: "Es gibt sicher Kardinäle, die mit beiden Füßen auf dem Boden stehen, sich sehr offen den Herausforderungen unserer Zeit stellen und dazu noch volksnah sind, also vom Volk auch sehr geliebt werden. Aber Kardinäle mit ebendiesen Eigenschaften gibt es auch auf anderen Kontinenten, inklusive in Europa."

Die Probleme der päpstlichen Ansprachen

Zum Umgang Benedikts XVI. mit Lateinamerika hielt Kräutler fest, dieser sei bei seinem Brasilien-Besuch 2007 "mit offenen Armen und viel Applaus empfangen worden". Die Predigten, die er gehalten habe, seien allerdings "nicht wirklich 'rübergekommen, und das ist wohl das Problem der meisten päpstlichen Ansprachen. Sie sind elendslang und in einem Ton und einer Sprache abgefasst, die von der kleinen Frau und dem kleinen Mann gar nicht verstanden werden."

Massenveranstaltungen generell gingen nicht in die Tiefe und veränderten kaum etwas auf der Welt, meinte Kräutler. "Da hat die Kirche an der Basis in Lateinamerika viel mehr Tiefgang, und in diesem Zusammenhang fällt auch gleich das Stichwort 'Befreiungstheologie'. Diese Form theologischer Reflexion, die in Lateinamerika ihre Wiege hat, wollte Kardinal Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation nicht akzeptieren... Ich bin überzeugt, dass er damals zu sehr auf rechts-extreme kirchliche Gruppen aus Lateinamerika gehört hat, die diese Theologie in Bausch und Bogen verdammten. Auch als Papst gab er sich sehr distanziert zur Befreiungstheologie und sprach noch im April 2010 anlässlich des Ad-limina-Besuches der brasilianischen Bischöfe von der 'marxistischen Befreiungstheologie'. Dieses Attribut 'marxistisch' tut unseren Theologen unrecht und zeigt abermals, von welcher Seite die Angriffe auf diese Form der theologischen Reflexion kommen."

"Armut wird gemacht"

Er sei nach wie vor der Ansicht, dass die Befreiungstheologie "grundbiblisch" sei, unterstrich Kräutler. "Aus meiner Erfahrung in Amazonien und Brasilien weiß ich, dass Armut kein Schicksal ist, sondern gemacht wird. Jemand trägt Verantwortung dafür." Die Befreiungstheologie habe immer versucht, "im Lichte des Wortes Gottes Antwort auf diese Realität zu geben und auch die für Not, Gewalt und Tod verantwortlichen Strukturen und Regierungen anzuprangern. Und dies wurde plötzlich als unzulässige Einmischung in die Politik verurteilt. Theologen wurden geächtet, militante Christen an der Basis, ja sogar Bischöfe, Priester und Ordensleute ermordet."

Die Kirche sei immer auch politisch gewesen. "Die Frage ist, auf welcher Seite Jesus stand und auf welcher Seite die Kirche steht. Nahm er sich nicht der Ausgegrenzten an, der an den Rand Gedrängten? Die Befreiungstheologie Lateinamerikas hatte nie im Sinn Parteipolitik zu betreiben, aber sie kann sich aus der wirklichen Politik gar nicht heraushalten", erklärte Kräutler, der 2010 für seinen Einsatz für die Rechte indigener Völker mit dem Alternativen Nobelpreis (Right Livelihood Award) geehrt wurde. Er habe es immer vermisst und bedaure es nach wie vor, "dass es Rom nie eingefallen ist, die Befreiungstheologen Lateinamerikas zu einem Symposion, zu einem wirklichen Dialog einzuladen. Stattdessen wurden sie verunglimpft und zum Teil mit 'Bußschweigen' bestraft. Da erwarte ich mir vom neuen Papst nun wirklich eine Kursänderung, die einen weltweit durchgeführten, konstruktiven Dialog eröffnet."

(APA)

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