Italien: Grillo sorgt für Totalblockade im Parlament

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Die neue Legislatur beginnt chaotisch: Eine Regierung ist nicht in Sicht – und Silvio Berlusconi ist krank. Staatsanwälte sagen, er will damit seinen Bunga-Bunga-Prozess verzögern.

Rom. Es ist eine Demokratie der verwackelten Bilder. Die „Fünf-Sterne-Bewegung“ des Ex-Komikers Beppe Grillo, die bei der italienischen Parlamentswahl Ende Februar mehr als ein Viertel der Stimmen für sich gewinnen konnte, verweigert sich jeder Pressekonferenz. Niemanden, keine Medien, keine „Volksvertretung“, wollen die „Grillini“ zwischen sich und dem Bürger sehen. Was sie mitteilen wollen, teilen sie ausschließlich per Internet mit: über verwackelte, bei Verbindungsproblemen immer wieder stockende Filme, die – wer wissen will, was Beppe Grillo vorhat – in voller Länge anschauen muss, weil es Zusammenfassungen nicht gibt. Das ist es, was sich die „Fünf-Sterne-Bewegung“ als moderne, „gläserne“ Demokratie vorstellt.

„Grillini“ stört Stillstand nicht

Bei der Parlamentswahl vor drei Wochen sind die „Grillini“ zur stärksten Einzelpartei im Abgeordnetenhaus geworden; noch mehr Macht haben sie in der zweiten Parlamentskammer: Pier Luigi Bersanis Sozialdemokraten als nominelle Wahlsieger können ohne den Ex-Komiker nicht regieren. Dieser verweigert sich aber jedweder Zusammenarbeit, schlägt alle Kompromissvorschläge aus („Wir unterstützen keine Regierung, die von Parteien getragen wird“) und beißt nicht einmal an, wenn es um die Verteilung führender Parlamentsposten geht – also auch um das Anwerfen der Parlamentsmaschinerie. In dieser desaströsen Lage sind am Freitag das Abgeordnetenhaus und der Senat zu ihren konstituierenden Sitzungen zusammengetreten. Und nicht einmal die beiden Parlamentspräsidenten konnten gewählt werden. Denn die „Grillini“ wollten nur für ihre eigenen Männer stimmen. Die anderen Parteien konnten sich auf keine Alternative zu den „Fünf-Sterne“-Kandidaten einigen, und so gaben die meisten Mandatsträger weiße Stimmzettel ab.

Mit einer Entscheidung wird erst am heutigen Samstag gerechnet – aber nur, weil die Regeln ab dem dritten Wahlgang das Verfahren erleichtern: Dann reicht den Sozialdemokraten im Abgeordnetenhaus die eigene Mehrheit. Und im Oberhaus siegt – per Stichwahl – der stärkste Minderheitskandidat.

Zwar wird Bersani kommende Woche von Staatspräsident Giorgio Napolitano den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Die „Grillini“ versprechen den Sozialdemokraten aber höchstens fallweise Unterstützung in Einzelfragen. In Rom erwartet niemand mehr eine stabile Regierungsmehrheit. Die „Fünf-Sterne-Bewegung“ stört das nicht. Ihr designierter Fraktionschef im Senat, Vito Crimi, weist alle Kritiker, die seine Gruppierung für die Unregierbarkeit des Landes verantwortlich machen, auf das „Modell Belgien“ hin: Auch dieses Land habe 14 Monate ohne Regierung überlebt.

Blutdruckprobleme und Prozesse

Ausmanövrieren ließe sich Beppe Grillos Bewegung rechnerisch durch eine Koalition zwischen Sozialdemokraten und Silvio Berluconis „Volk der Freiheit“. Die politischen Kräfte des Medienzaren sind aber derzeit nicht wirklich handlungsfähig – sie sind mit anderen Problemen beschäftigt: Silvio Berlusconi lag etliche Tage mit Augenentzündung und Blutdruckproblemen im Krankenhaus. Die Mailänder Staatsanwälte glaubten, er wolle sich damit nur vor der Schlussphase des Bunga-Bunga-Prozesses drücken und schickten ihm die Polizei zur Visite ans Krankenbett. Daraufhin besetzten die führenden Parteigenossen des Milliardärs und Ex-Premiers unter großem Wirbel das Mailänder Gericht.

Der erneute lautstarke Privatstreit Berlusconis mit der Justiz lenkte von den anstehenden politischen Problemen ab. Zusätzlich vereiste Linksdemokraten-Chef Pier Luigi Bersani den letzten Rest des Gesprächsklimas auch noch dadurch, dass er – um die „Grillini“ zu ködern – versprach, die Sozialdemokraten würden im Parlament auch einer Verhaftung Berlusconis zustimmen, sollten sich die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft als substanziell erweisen.

Bersani selbst indes verliert auch in der eigenen Partei an Boden. Immer lauter wird die Kritik an seiner „verfehlten Wahlkampfstrategie“. Und da inzwischen alle ein Scheitern des linken Parteivorsitzenden bei der Regierungsbildung erwarten, bringen sich die Bataillone der Parteifreunde schon für eine weitere vorgezogene Wahl in Stellung.

Neuwahlen im Sommer?

Das könnte zunächst einmal parteiinterne Konsequenzen haben – und zwar Pier Luigi Bersanis Sturz. Noch betont der junge Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, der im Dezember bei den parteiinternen Vorwahlen von Bersani geschlagen wurde, seine „Loyalität“ zum jetzigen Linksdemokraten-Chef. Doch gleichzeitig sammelt der charismatische Hoffnungsträger der Linksdemokraten seine eigenen Unterstützer für die nächste, große Schlacht: Italiens Wähler, heißt es in den Medien, sollten sich den Juni vormerken, spätestens den September.

Auf dem EU-Gipfel warnte indes die deutsche Kanzlerin Angela Merkel: „Wir wünschen uns, dass in Italien sehr schnell eine Regierungsbildung erfolgen kann.“ Zwar habe das Euroland Italien unter der Technokratenregierung von Mario Monti eine Vielzahl an Reformen begonnen. Die Zeit für deren Umsetzung sei aber sehr kurz gewesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2013)

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