Gastkommentar

Frostiger Himmel: Die Kirche und das Klima

Peter Kufner
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„Trauerfeiern für sterbende Gletscher“ sind theologisch abenteuerlich. Sie tragen dazu bei, das Thema Klimawandel emotional aufzuladen und den apokalyptisch gefärbten Klima-Aktivismus theologisch zu unterfüttern.

Klima-Aktivisten warnen in apokalyptischen Bildern davor, dass die Erde schon bald zur Hölle werden könnte, wenn keine einschneidenden Maßnahmen zum Klimaschutz getroffen werden. Allein schon der Name „Letzte Generation“ kündigt mit alarmistischem Unterton das baldige Finale der Geschichte an.

Wenn die Temperaturen weiter steigen und gerade der Süden zu einem sommerlichen Brutofen wird, dann geraten Wälder, Tiere und Menschen in geradezu infernalische Verhältnisse. Die Bilder von Feuerwänden und dunklen Rauchschwaden auf der griechischen Insel Rhodos führen der Weltöffentlichkeit gerade vor Augen, dass die Drohszenarien der Klima-Aktivisten keineswegs fiktiv sind. Ist die extreme Hitze die Quittung für den rücksichtslosen Raubbau an natürlichen Ressourcen? Eine Revanche der Natur?

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Warnungen vor einer Klima-Dystopie finden nicht nur im Film und in der Literatur der Gegenwart, sondern auch in den Kirchen auffällig große Resonanz. Diese haben das Thema „Bewahrung der Schöpfung“ schon länger entdeckt und immer wieder ein Umdenken in Sachen Umwelt angestoßen.

Strategische Allianzen

Papst Franziskus hat in seiner Enzyklika „Laudato si’“ von 2015 der Sorge um das gemeinsame Haus der Erde pontifikalen Ausdruck verliehen und eine ökologieverträgliche Politik angemahnt. Zu Recht! Strategische Allianzen mit Umweltschutzvereinen werden eingegangen, um der Gesellschaft die Dringlichkeit des Problems vor Augen zu führen.

Zuletzt haben der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, und der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki – in Fragen der Kirchenreform klare Antipoden – einen gemeinsamen Appell zu mehr klimapolitischem Engagement lanciert. Man sieht: Die Sorge um das gemeinsame Haus führt sogar innerkirchliche Gegner zusammen!

Gegenläufig zu so viel Einigkeit hat jüngst die „Neue Zürcher ­Zeitung“ davor gewarnt, dass die Kirche zu einer „Klima-Sekte“ mutiere – eine steile Problemanzeige, die in Kirchenkreisen entrüstete Abwehrreflexe hervorgerufen hat. Die Polemik geht in der Tat ziemlich salopp über die Dramatik der Krise hinweg und schiebt die Sorgen vieler Gläubigen mit einem Quäntchen Arroganz beiseite.

Zugleich trifft sie aber auch einen wunden Punkt, wenn man beachtet, dass die Kirchen neuerdings „ökumenische Trauerfeiern für sterbende Gletscher“ veranstalten. Anfang Juli wurde ein „Requiem“ für den Brandner-Gletscher in ­Vorarlberg abgehalten, der nach der Prognose von Klima-Experten schon in wenigen Jahren verschwunden sein wird.

Aufgabe der Politik

Auch die Erzdiözese München und Freising hat soeben mit der evangelischen Kirche auf dem Zugspitzplatt auf der Höhe von 2700 Metern eine „Totenmesse“ für Gletscher durchgeführt, um ein öffentliches Mahnzeichen für größere Anstrengungen in Sachen Klimaschutz zu setzen.

Biologen weisen darauf hin, dass die Gletscherschmelze für das Ökosystem tatsächlich folgenreich ist. Mit dem Verschwinden des ­ewigen Eises gehen Biodiversität und Artenvielfalt verloren. Das schmerzt alle, denen die Natur nicht gleichgültig ist. Es verstärkt überdies Ohnmachtsgefühle und Verzweiflung, die nach Ausdruck verlangen.

Die gottesdienstlichen „Trauerfeiern für die sterbenden Gletscher“ kommen dem auf friedliche Weise nach. Sie verbinden die Trauer über die unwiderrufliche Veränderung der Natur mit moralischen Appellen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes, zum Ersatz von Gas- und Ölheizungen, zum sofortigen Stopp aller Straßenbauprojekte, zur Reduktion des Auto- und Lkw-Verkehrs, zur Beendigung der Versiegelung von Grünflächen.

Das lässt aufhorchen. Denn das Ambo in der Kirche ist kein politisches Rednerpult, und das Evangelium bietet keine klaren Handlungsanweisungen zur Rettung des Klimas. Aufgabe der Politik ist es, machbare Antworten auf das komplexe Phänomen des Klimawandels zu finden, hier müssen Erkenntnisse der Klimaforschung, ökonomische Interessen und die globale Dimension des Problems sachgerecht abgewogen werden.

Geschmeidige Anpassung

Aufgabe der Kirche hingegen ist es, die Frage nach der Schöpfungsverantwortung des Menschen zu stellen und zu einer kritischen Selbstrevision – nicht vor dem Klima, sondern vor Gott – einzuladen. Statt eine ganzheitliche Verschmelzung mit Mutter Erde zu empfehlen, geht es im christlichen Gottesdienst darum, dem Schöpfer für die vielfältigen Gaben der Erde zu danken und den Menschen zu einem verantwortlichen Umgang mit der Schöpfung anzuleiten.

Das gemeinsame Gebet, das an die Differenz zwischen Gott und Mensch erinnert, ist heilsamer Anstoß zu einer vernünftigen Selbstbegrenzung im Umgang mit der Natur. Daraus können dann Impulse für ökologieverträgliche Formen des Wirtschaftens und klimaneutrale Lebensstile erwachsen.

„Trauerfeiern für sterbende Gletscher“ stehen indes in Gefahr, das Thema Klimawandel emotional aufzuladen und den apokalyptisch gefärbten Klima-Aktivismus theologisch zu unterfüttern. Der Verdacht stellt sich ein, dass der Relevanzverlust, den die Kirchen in ihrem Kernbereich, der Rede von Gott und Jesus Christus, von Sünde und Erlösung, von Gericht und Vollendung hinnehmen müssen, durch geschmeidige Anpassung an ökologische Imperative kompensiert werden soll.

Gletscher im Jenseits

Bei aller gebotenen Solidarität mit Anliegen des Klimaschutzes können rechtswidrige Interventionen, die die Infrastruktur lahmlegen, Kunstwerke attackieren und andere schädigen, nicht gebilligt werden. Auch kann die Kirche den Bezichtigungsfuror, der sich im Umkreis der Letzten Generation breitmacht, nicht einfach mitmachen. Das Tribunal der letzten Generation ist nicht das Jüngste Gericht. Vor diesem werden sich Klimasünder und Klima-Aktivisten gleichermaßen zu verantworten haben.

Theologisch aber ist es aus mehreren Gründen abenteuerlich, Requien für sterbende Gletscher abzuhalten. Erstens werden Requien nicht für Sterbende, sondern für Verstorbene gefeiert. Zweitens gelten sie Personen, die einen Namen und eine Geschichte haben, nicht aber Naturphänomenen, deren Fortexistenz durch den Klimawandel bedroht ist. Oder will man in einem kühnen Zuschreibungsakt sogar Gletschern Personenstatus übertragen?

Drittens werden in der Begräbnisliturgie die Verstorbenen der ewigen Ruhe und dem Gedächtnis Gottes anempfohlen. Das Licht der Osterkerze symbolisiert dabei die Hoffnung auf Auferstehung. Wie will man das auf sterbende Gletscher beziehen? Soll etwa das, was im Diesseits wegschmilzt, im Jenseits einen neuen Ort bekommen? Sollen Gletscher, für die man Totenmessen feiert, in eisigen Paradieslandschaften wiederauferstehen? Ein frostiger Himmel – das wäre in der Tat eine Neuigkeit im bunten Panorama menschlicher Projektionen.

Der Autor

Jan-Heiner Tück (*1967 in Emmerich, Deutschland) ist Professor am Institut für Systematische Theologie und Ethik der Universität Wien. Schriftleiter der Zeitschrift „Communio“. Zahlreiche Publikationen; lebt in Wien.

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