Gastkommentar

Wenn Ungarn nicht mehr zur EU gehören würde

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán (li.) bei einem EU-Gipfel in Brüssel am 17. Juli.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán (li.) bei einem EU-Gipfel in Brüssel am 17. Juli.APA / AFP / Jean-christophe Verhaegen
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Die Regierung Orbán predigt, dass die EU-Mitgliedschaft eh nicht wichtig sei.

Formell ist Ungarn eine Republik. Jedoch kann der erste Bürger, Viktor Orbán, der rein zufällig auch der reichste Bürger ist, verfassungsrechtlich nicht seines Amtes enthoben werden. Er kann vielmehr alles tun oder seine Vertrauensleute zu allem veranlassen, was ihm seine Macht sichert.

Der größte Feind der Machtkonzentration ist es, wenn sie nicht in einer, sondern in mehreren Händen liegt; wenn nicht innerhalb, dann außerhalb des eigenen Staates. Letzteres interpretiert Orbán so, dass die EU die nationale Souveränität Ungarns einschränkt.

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Zuletzt ließ die Regierung in Budapest ihre Anhänger wissen, dass ihr die EU-Mitgliedschaft des Landes so wichtig ist wie ein Kropf am Hals. Immer häufiger hört man: „Orbán will das Land aus der Union führen.“ Einen spektakulären jähen Bruch halte ich für kein realistisches Szenario. Ein EU-Mitglied Ungarn nutzt dem Kreml und den Chinesen mehr als ein Ungarn außerhalb der EU. Und es ist billiger, bei der Rückzahlung von Krediten der eigenen politischen Klientel mit dem Geld europäischer Steuerzahler zu helfen.

Der Huxit könnte so ablaufen, dass Ungarn rechtlich zwar immer noch Mitglied der Union ist, praktisch jedoch immer weniger: Wir treten nicht aus, vielmehr entschlüpfen wir der EU allmählich. Wir bekommen kein Geld und verlieren unser Stimmrecht.

Nur die Milliarden zählen

Die jetzige ungarische Regierung ist an den gemeinsamen politischen, moralischen oder kulturellen Werten der EU nicht interessiert. Für sie zählen nur die Milliarden aus Brüssel. Wenn es aber kein Geld mehr gibt, hat Ungarn keinen Grund mehr, in der EU zu bleiben. Was würde passieren, wenn kein Geld aus Brüssel mehr käme, Ungarn aber in der Union bliebe – ohne Rechte und Pflichten? Wie würde das Land dann aussehen? Diese Frage kann vielleicht ein bekanntes Satzfragment des englischen Philosophen Thomas Hobbes, geschrieben während des Bürgerkriegs in den 1640er-Jahren, beantworten. In seinem Buch „Leviathan“ argumentierte er nämlich, dass das Leben ohne öffentliche Autorität, die alle unter Kontrolle hält, „solitary, poor, nasty, brutish, and short“ also einsam, arm, hässlich, brutal und kurz wäre. Alle Adjektive träfen auf Ungarn zu, wenn es nicht mehr zur EU gehörte. Im Einzelnen:

Verachtet und verarmt

Einsam: Wir würden nicht nur von jeglicher Zusammenarbeit ausgeschlossen, die Verachtung und die Lächerlichkeit, denen Ungarn bereits jetzt schon allerorten ausgesetzt ist, würden gewissermaßen offiziell werden.

Arm: Die wirtschaftliche Entwicklung resultiert aus der wirtschaftlichen Freiheit und Innovation. Die Orbán-Regierung setzt aber alle Mittel dagegen ein. So ist die Mehrheit der ungarischen Bevölkerung zu dauerhafter Armut oder zum Verlassen des Landes verurteilt.

Hässlich: Gibt es keine Bremse durch die EU, so gibt es noch weniger Hindernisse, das Land in eine moralische Jauchegrube zu verwandeln. Der Anspruch auf Moral wird ganz einfach verloren gehen.

Brutal: Das ist der Krieg aller gegen alle, mit dem Unterschied, dass in Ungarn bereits vorher entschieden wird, wer die Gewinner und wer die Verlierer sind. Je näher man sich im Umfeld der Spitze der politischen Macht aufhält, desto sicherer ist einem der Sieg.

Kurz: Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt in Ungarn bereits jetzt deutlich unter dem Durchschnitt der EU-Mitgliedstaaten. Nach einem Huxit aber ist mit einem Aufholprozess im ohnehin schon maroden Gesundheitswesen des Landes nicht zu rechnen.

János Széky ist ungarischer Schriftsteller, Publizist, Übersetzer und Leiter der Außenpolitik bei „Élet és Irodalom“,
einer – noch – existierenden liberalen Wochenzeitung in Ungarn.

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