Verhaltensforschung

Tierische Moral? Schweine öffnen einander die Türe

Kommunikation nach vorangegangener Hilfeleistung? Zwei Yorkshire-Schweine auf der Weide.
Kommunikation nach vorangegangener Hilfeleistung? Zwei Yorkshire-Schweine auf der Weide.Andy Sacks
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Kennen Schweine Mitleid? Eine Studie von Nutztierbiologen scheint diese Deutung nahezulegen: Die Tiere befreien einander aus Gefangenschaft.

Warum verhalten wir uns moralisch? Warum helfen wir einander? Aus Mitleid oder weil wir, wie Kant forderte, einem kategorischen Imperativ gehorchen? Auch wenn man nicht die Grenze zwischen Mensch und Tier verwischen will, ist es dennoch interessant, das Phänomen der Hilfsbereitschaft bei Tieren zu untersuchen. Etwa bei Schweinen, die ja ziemlich sozial und recht intelligent sind. Sie helfen Artgenossen in einer typischen Notsituation: Sie befreien sie, wenn sie eingesperrt sind. Das untersuchte ein Team um Liza Moscovice (Forschungsinstitut für Nutztierbiologie in Dummersdorf, Deutschland) an 75 Hausschweinen, also Angehörigen der Unterart Sus scrofa domesticus. Die Forscher sperrten jeweils ein Schwein in eine Kammer – mit Fenster zum allgemeinen Stall. Die dort verbliebenen Mitschweine sahen es also, hörten auch seine Laute. Eine Klinke an der Tür zur Kammer gab ihnen die Möglichkeit, dem oder der Eingesperrten zu helfen. Jedes Tier war einmal eingesperrt, 64 von 75 Tieren wurden innerhalb der Versuchsdauer von 20 Minuten befreit, im Durchschnitt mussten sie zwei Minuten und zwölf Sekunden auf ihre Befreiung warten.

Wie interpretiert man diesen Befund? Zur unter Verhaltensforschern üblichen Definition von Hilfe zählt, dass diese dem Helfer etwas abverlangen, etwas „kosten“ muss. Das ist in diesem Fall kaum so. Es wäre auch möglich, dass die Schweine die Tür aus Neugier öffnen oder um selbst in die Kammer zu gehen. Dagegen spricht der Vergleich mit der Situation, wenn die Tür geschlossen, aber niemand eingesperrt ist. Dann öffnen die Schweine die Tür signifikant später und seltener. Dazu kommen zwei weitere Befunde: Schweine, die länger aufs Fenster geblickt haben, helfen eher; und Schweinen, die mehr Stresssignale – Quieken, Schreie, Öffnungsversuche – zeigten, wurde eher und schneller geholfen. Dafür wurde ein Unterschied, dem man erwarten würde, nicht beobachtet: Schweine halfen Geschwistern, die ihnen seit der Geburt vertraut sind, nicht öfter als Kollegen, die sie erst seit kurzem kennen. Die Hilfsbereitschaft ist also nicht von sozialen Präferenzen abhängig.

Wann ist Hilfeleistung egoistisch?

Möglich ist, dass die Schweine ihre Artgenossen befreien, um mit ihnen zu kommunizieren, tatsächlich taten sie das im Durchschnitt eine Minute nach der Befreiung. Fällt das dann noch unter altruistische Hilfe oder ist das noch ein egoistisches Motiv? Diese Unterscheidung ist gar nicht leicht zu treffen. Man könnte Hilfeleistung ja auch als Reaktion auf den Stress deuten, den die Stresssignale des offenbar in Not befindlichen Artgenossen im Helfer auslösen. Wäre das dann egoistisch? Handelt ein Vater egoistisch, der seinem Baby hilft, damit es zu schreien aufhört und damit der Stress, den das Schreien in ihm erzeugt, nachlässt? Wird eine Spende an einen Bettler moralisch wertlos, weil der Spender vom Bettler genervt war? Diese Art von sozusagen direkt physiologisch fassbarem Mitleid wollten die Forscher an den Schweinen nachweisen, indem sie auch bei den Helfenden die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Speichel maßen. Doch sie konnten keinen Anstieg feststellen, bei den Eingesperrten sehr wohl.

So lässt diese faszinierenden, derzeit nur als Preprint veröffentlichte, aber bei den „Proceedings of the Royal Society B“ eingereichte Arbeit – an der mit Jean-Loup Rault auch ein Forscher der Uni Wien beteiligt war – einiges offen. Spannend wäre wohl auch, ob sich in längeren Versuchsreihen nachweisen lässt, dass Schweine jenen Mitschweinen, die ihnen selbst schon geholfen haben, mehr helfen als anderen, die sich nicht hilfsbereit gezeigt haben. Ob also auch unter Schweinen gilt, was manche Ethiker als Grundlage der Moral sehen wollen: dass man gibt, damit einem ein andermal gegeben wird.

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