Wenn Doping so normal wie das Essen ist

Wenn Doping normal Essen
Wenn Doping normal Essen(c) AP (LAURENT REBOURS)
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Ist Hochleistungssport ohne Doping überhaupt möglich? Erklärungen von Stefan Matschiner. Der frühere Sportmanager von Radprofi Bernhard Kohl, hat einst selbst gedopt.

Hubert von Goisern: Haben Sie damals das Gefühl gehabt, Sie betrügen? Ist Ihnen die Entscheidung schwergefallen?

Stefan Matschiner: Nein, auf keinen Fall. Wen betrügt man im Leistungssport mit der Einnahme von Dopingmitteln? Sicherlich nicht seine unmittelbaren Gegner. Dass ich den Vorwurf des Betruges aber völlig ins Lächerliche ziehe, stimmt auch nicht. Natürlich ist es Betrug an der nachfolgenden Generation, die ebenso gezwungen wird „mitzuspielen“. Die Entscheidung ist dann eine leichte für junge Athleten, die schon viele Jahre – meist auf Kosten der Ausbildung – in den Sport investiert haben. Man will dazugehören und es wird einem auch als „normal“ dargestellt, ein wenig zu unterstützen. Prinzipiell darf man sportliche Höchstleistungen aber nicht auf Doping reduzieren. Leider wird das oft getan und vor allem medial gern so dargestellt. Journalisten machen sich selten auf die Suche, um die Frage nach dem Warum zu beantworten. Es ist natürlich leicht, über Doping zu berichten, journalistisch informative und sinnvolle Beiträge gibt es jedoch kaum. Doping bringt im Sport etwa zwei bis max. vier Prozent. Wenn man das auf einen 100-m-Lauf umlegt, so sind das in etwa 3/10 Sekunden. Nicht nur eine Welt! Das ist der Unterschied zwischen österreichischem Meister und Weltklasse. Auf einer Tour-de-France-Etappe mit Bergankunft (Alp d'Huez), bei der die letzten 30 Minuten hart gefahren werden, sind drei Prozent rund eine Minute. Worauf ich hinaus will: Der Athlet selbst muss jahrelanges Training physisch und psychisch erst einmal durchstehen und seinen Körper und Geist voll austrainieren, um Dopingmittel sinnvoll einsetzen zu können. Die 100 Prozent muss er selbst erreichen. Und zwar durch harte und konsequente Arbeit mit vielen Entbehrungen. Doping ist der letzte Schritt, das i-Tüpfelchen sozusagen.

Würden Sie es wieder tun?

Selbst Dopingmittel nehmen? Wahrscheinlich schon, wenn ich wieder vor der Entscheidung stehen würde. Ich kenne die Konsequenzen ja leider nicht im Alter von 25 Jahren. Mit meinem heutigen Wissen würde ich dem Leistungssport mit 23 (spätestens!) Goodbye sagen und das Studium schneller abschließen und meine Energie in andere Dinge stecken. Hätte ich dieses Wissen nicht, dann würde mich die Welt des Glamours wahrscheinlich wieder anziehen, wie das Licht die Motten. Betriebsblindheit ist ja ein gängiges Phänomen, nicht nur im Sport. Um zu erkennen, dass sich der (Hochleistungs-)Sport für wichtiger hält, als er tatsächlich ist, bedarf es eines Crash, den ich ja persönlich erlebt habe. Heute sehe ich alles mit anderen, nüchternen Augen. Im Sport gibt es wie kaum anderswo Hypokraten und Pharisäer in einer Anzahl, wie ich sie kaum beschreiben kann.

Hat es Ihrer allgemeinen Moral geschadet bzw. hat es die Büchse der Pandora geöffnet und Betrug in Situationen außerhalb des Sports nach sich gezogen?

Nein. Es klingt vielleicht etwas schräg aus meinem Mund, aber Wertvorstellungen wie Ehrlichkeit wurden mir schon im Kindesalter anerzogen. In diesem Haus des Leistungssports, in dem Doping so normal ist wie das Essen, ist das Unrechtsempfinden erst mal ausgeschaltet. Das heißt aber nicht, dass sich die Büchse geöffnet hat und auf andere Bereiche des Lebens übergeschwappt ist. Ich habe zum Beispiel meine Einnahmen immer alle in meine Buchhaltung gegeben und versteuert. Das war für mich völlig klar, ich habe an Versicherungszeiten gedacht und an das System an sich. Sozialschmarotzer sind mir zuwider. Man führt als Hochleistungssportler ein Doppelleben. Man kommuniziert mit allen, die nicht dazugehören, anders als mit Kollegen. Im Haus drinnen ist alles normal, reingelassen werden nur Insider. Der Rest sieht nur die Fassade, das Dahinter bleibt verborgen. Es ist nicht schwierig, im normalen Leben ein normales Verhalten an den Tag zu legen.

Gibt es leistungssteigernde Pharmazeutika, die Sportler unbedenklich einnehmen könnten? Wenn ja, sollten diese erlaubt werden?

Es gibt keine Medikamente ohne Nebenwirkungen. Nicht einmal Vitaminpräparate sind ohne Nebenwirkung, wenn sie über lange Dauer in hohen Dosen eingenommen werden. Die Frage an sich ist nicht zu beantworten. Bekennt man sich zum Leistungssport? Wenn ja, muss medizinisch unterstützt werden. Aber wo ist die Grenze? Wie wirkt sich das auf die Vorbildfunktion für unsere Jugend aus? Es gibt Studien, die beweisen, dass geringe Mengen an Testosteron hilfreich sein können, um den Körper nach harten Belastungen nicht in ein Tief fallen zu lassen, in dem er anfällig ist für alle möglichen Infektionskrankheiten.

Aber wo ist die Grenze?

Körper sind immer verschieden, funktionieren nicht immer gleich. Dem amerikanischen Vorbild kann ich einiges abgewinnen. Hast du es bis zum Alter von 23 Jahren nicht geschafft, dann heißt es: ab in einen Beruf. Vielleicht ein Jahr bei einem Satellitenklub der großen Klubs von Basketball bis Hockey. Wenn du es dann nicht geschafft hast, gibt es keine Amateursportveranstaltungen mehr. Du bist entweder Vollprofi mit allem, was dazugehört oder Otto Normalverbraucher. Nichts dazwischen! Und in den US-Profiligen darf gedopt werden. Die Liste der erlaubten Medikamente ist lang und im Radsport oder der Leichtathletik wären zweijährige Sperren die Folge. In Westeuropa wirst du bis 30 zu Tode gefördert, obwohl Verbände und deren Sportwissenschaftler lange erkannt haben, dass es wohl nichts mit der Olympischen Medaille wird.

Sollte es zwei Sportkategorien geben, eine drogenfreie und eine, in der alles erlaubt ist?

Das hat auch keinen Sinn. Niemand kann garantieren, dass in der drogenfreien Welt nicht auch gedopt wird. Der Gedanke, man könne „besser sein“, ist zu tief im Menschen verwurzelt. Und ginge es nur um die Ehre, es würde einen geben der es immer noch ein bisschen mehr will zu gewinnen.

Wo endet der Anstand im Sport für Sie?

Ist ein taktisches Foul im Mittelfeld beim Fußball anständig oder gehört es zum Spiel? Diese Grenzen sind sehr schwammig, es ist nicht möglich, diese Frage zu beantworten. Definitiv ist für mich allerdings, dass der Anstand endet, wenn man anderen Schaden zufügt. Sich selbst Schaden zuzufügen ist nicht unanständig, da Hochleistungssport per se einer schleichenden Hinrichtung mancher Körperteile gleichkommt. Mit und ohne Doping.

Welcher Sportler ist für Sie „anständig“?

Alle Sportler, die sich in einem Umfeld messen, indem alle mit demselben Wasser kochen. Es gibt keine schwarzweiße Trennlinie im Sport. So wie in der Gesellschaft auch nicht.

Rund um Lance Armstrongs Beichte wurde als Entschuldigung genannt, Doping und Radsport sind eins. Stimmt das?

Die Annahme, dass dies in nur einer Sportart passiert, ist falsch. In allen Sportarten wird gedopt, jeder Sport hat seine Droge. Der Radsport stand aber von Anfang an unter einem kommerziellen Stern. Es ging seit der Gründung der Tour um Kohle – und sonst nichts!

Hat sich etwas geändert im Radsport?

Wahrscheinlich nicht. Was ich so höre, ist es schlimmer geworden. Die Risikobereitschaft der Fahrer ist nochmals gestiegen.

Wie geht man mit dem Nachwuchs um?

Das sickert bis ins Juniorenalter durch. Wie in meinem Buch beschrieben: Die Leistungszentren sind der Mittelpunkt. Dort findet Wissenstransfer statt.

Steckbrief

Grenzwertig. Aus dem Leben eines Dopingdealers: Fünf Jahre lang war der frühere Leichtathlet Stefan Matschiner „die Spinne im Dopingnetz“ („FAZ“), versorgte Sportler in ganz Europa mit allem, was das Athletenherz begehrt – und verboten ist: EPO, Testosteron, Wachstumshormon, Designersteroide.

Der ehemalige Sportmanager ist am 14. Mai 1975 in Laakirchen geboren. Biografie „Grenzwertig“ (Verlag Riva).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2013)

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