Volkstheater: Treppauf, treppab mit dem "Revisor"

Treppauf treppab Revisor
Treppauf treppab Revisor(c) APA
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Im Sturzflug spult Regisseur Thomas Schulte-Michels die schwarze Komödie Nikolaj Gogols ab. Clowns und Karikaturen dominieren, es gibt sogar Artistik.

Mit seiner Komödie „Der Revisor“, die zu einem großen russischen Klassiker wurde, war Nikolaj Gogol nicht zufrieden, er überarbeitete sie mehrfach. „Mein Stück ist mir zuwider“, schrieb er nach der Uraufführung 1836 im Sankt Petersburger Alexandra-Theater. Er gab zudem in einem Brief den Rat: „Vor allem ist darauf zu achten, dass man nicht ins Karikieren verfällt.“ Wie aber soll das gelingen, wenn sogar der Autor vorhatte, mit diesem Lustspiel über eine korrupte Provinzstadt, deren Honoratioren einen Revisor erwarten und leider den falschen Mann aus der Hauptstadt schmieren, die ganze russische Gesellschaft in ihrer Schlechtigkeit „mit einem Schlag dem Gelächter preiszugeben“? Das ist doch an sich schon reine Überzeichnung.

Ein Zirkus voller Lachnummern

Im Wiener Volkstheater hat der deutsche Regisseur Thomas Schulte-Michels auf Gogols Ratschläge gepfiffen. Er macht aus dem „Revisor“ grellen Zirkus, eine Commedia dell'Arte, und peitscht die fünf Akte ohne Pause in einem solchen Höllentempo durch, dass man gar nicht zum Nachdenken darüber kommt, ob diese Interpretation den strengen Vorgaben entspricht, sondern befreit lachen muss über diese Groteske. Das Publikum jedenfalls war am Ende begeistert.

Der Unsinn auf hohem Niveau zeigt zumindest beim Bühnenbild gewaltige Fallhöhe. Eine steile Treppe dominiert es, sie führt hinauf zu einem zweiten roten Vorhang in Miniatur, mit goldener Umrahmung. Treppauf, treppab geht es von dort 80 Minuten lang, nachdem grell geschminkte Herren in schmutziger Unterwäsche und zerschlissenen Schlafröcken erschienen und mit übertriebenen Gesten unterstreichen, warum sie so aufgescheucht sind: Ein hoher Beamter aus Sankt Petersburg sei im Anmarsch und werde die Verhältnisse prüfen.

Alle aber sind korrupt, der Bürgermeister (Günter Franzmeier spielt ihn furios), der Kreisrichter (Erwin Ebenbauer) und der Postmeister (Rainer Frieb) zum Beispiel. Sie dürfen ihre Marotten übertrieben zur Schau stellen, jeder zeigt ein Kabinettstück auf seine Art – jämmerlich drohend, geckenhaft, stotternd. Für Artistik sorgt Günther Wiederschwinger als idiotischer Gutsbesitzer. Er rollt die Treppe runter wie ein Stuntman.

Chlestakow hat eine viel zu weite Hose an

Auch der vermeintliche Revisor und sein Diener werden übertrieben in ihren Schwächen präsentiert. Marcello de Nardo als Iwan Alexandrowitsch Chlestakow und Till Firit als Ossip haben weite Hosen an wie der dumme August im Zirkus, sie sind auch geschminkt wie Clowns und spielen eine irre Komödie. Dieser Revisor ist ein kleiner Gauner, der zum Großmaul wird, wenn er zu viel trinkt. Drastisch führt er vor, wie das Einsacken funktioniert. Ganze Bündel mit Geldscheinen verschwinden in seiner Hose, und man glaubt es auch: So erscheint die politische Realität bis heute, ob in Russland, Zypern, Griechenland oder im hintersten Kärnten. Gier und Dummheit sind ein ideales Paar.

Frauenzimmer wie bei William Hogarth

Reizvolle weibliche Varianten davon dürfen in dieser Inszenierung Susa Meyer und Andrea Bröderbauer geben, als Frau und Tochter des Bürgermeisters, die sich an den Revisor mit mächtigem Trieb und in scharfer Konkurrenz heranmachen. Hemmungslos wird von ihnen das Wesen der Schlampe dargeboten. Ihre wirren hochgesteckten Frisuren könnten in Karikaturen von Hogarth oder Goya bestehen, die Damen schaffen es aber auch, bei all der Lächerlichkeit sogar ein wenig Gefährlichkeit zu vermitteln.

Die drastische Schau ist kurz genug, um selbst in der Wiederholung einfacher Gags nicht zu langweilen. Nur am Schluss erstarrt sie, in voller Absicht, als nach der Flucht des falschen der echte Revisor angekündigt wird. Die ganze Gesellschaft gefriert zur Scharade der Verkommenheit auf der hohen Treppe. Diese Leute werden sich auch künftig arrangieren. Sie zeigen Herrn Gogol eine lange Nase. Mit seinem Biss ist das Volkstheater auf ganz eigene Art fertig geworden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2013)

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