Geschichte

Das Salzburger „Anti-Bayreuth“

Max Pallenberg (Mephisto) und Max Reinhardt bei einer „Faust“-Probe in Salzburg, 1933.
Max Pallenberg (Mephisto) und Max Reinhardt bei einer „Faust“-Probe in Salzburg, 1933.Brandstätter/Picturedesk.com
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Zum 150. Geburtstag von Max Reinhardt bietet Salzburg eine Reihe von Veranstaltungen – von der „Faust“-Inszenierung bis zur Beziehung zu Stefan Zweig.

Oberhalb der Salzburger Festspielhäuser, auf einem Felsen des Mönchsbergs, thront die Edmundsburg, ein dreigeschoßiges, kubisches Schlösschen mit lachsfarbener Fassade, das trotz seines Namens nichts mit einer Burg zu tun hat. Man sieht es, wenn man durch die Altstadt flaniert, von allen Richtungen, viele Besucher steigen vom Toscaniniplatz über die steile Clemens-Holzmeister-Stiege hinauf, um den Ausblick auf die Stadt zu genießen. Das darunterliegende Stift St. Peter hat hier am Ende des 17. Jahrhunderts eine Sommerresidenz für die Äbte errichten lassen, heute ist die Edmundsburg ein von der Universität Salzburg finanziertes Zentrum des kulturellen Lebens der Stadt.

Seit 2008 ist hier das Stefan-Zweig-Zentrum beheimatet, ein Ort für Forscher und Literaturtouristen. Zwischen Zweig und der Stadt Salzburg gibt es ja enge Verknüpfungen, der Schriftsteller, ein gebürtiger Wiener, lebte hier von 1919 bis in die Mitte der 1930er-Jahre, er bewohnte ein Haus auf dem Kapuzinerberg. Als er nach dem Ersten Weltkrieg aus der Schweiz hierherzog, war er kein unbekannter Autor mehr. Die Monarchie existierte nicht mehr, und er schrieb damals: „Nun, wir haben geduldig gewartet, bis dieses alte Österreich unterging, und ziehen nach Salzburg, wo ein kleines Schlössel mit wunderbarem Garten so ziemlich das darstellen wird, was von unserm einstmals beträchtlichen Vermögen übrig blieb. Aber ich habe längst über alles das ein Kreuz gemacht, ich weiß, wenn nur einmal Ruhe kommen wird, komme ich schon gut durch, ein Garten und ein Haus ist schließlich alles, was ich ersehnte.“

Stefan Zweig konnte nur konzentriert arbeiten, wenn es ruhig war. Die beiden Töchter, die seine Frau Friderike mit in die Ehe brachte, waren lebhaft, das war ärgerlich. Besonders genervt zeigte er sich aber von dem Trubel, der auf die Stadt Salzburg zuzukommen drohte, als 1920 die Festspiele gegründet wurden, die die kleine Stadt hoffnungslos mit Besucherströmen zu überfluten drohten. „Strauss und Reinhardt wollen ein großes Theater gründen – unseligerweise in Salzburg“, schrieb er an seinen Freund Romain Rolland im April 1919. „Die bezaubernde kleine Stadt, mein Refugium, würde damit ein Bayreuth werden! Ich bin etwas in Sorge darüber, denn ich verabscheue diese Massen an Snobs für mein ruhiges Leben.“

Der „furchtbare“ Festspielrummel

Zweig musste zu Recht befürchten, dass die Fans auf den Kapuzinerberg hinaufsteigen würden, um an seiner Tür anzuklopfen. „Das Volk sammelt sich wie schwarze Fliegen“, schrieb er nach dem ersten Festspielsommer, „meine Arbeit geht ganz futsch dabei. Und ich hätte so viel zu tun!“ Immer wenn die Festspiele begannen, packte ihn daher in den nächsten Jahren eine unüberwindliche Sehnsucht nach der Nordsee. Die Distanz schien ihm gerade ausreichend, um sich vom Festspielrummel „reinzubaden“, wenn die Stadt „erdröhnt vom Gehämmer am Festspielhaus“.

Suchte der berühmte Schriftsteller gar nicht den Kontakt mit den Festspielgründern? Etwa zu Max Reinhardt? Diesem Thema widmet das Stefan-Zweig-Zentrum auf dem Mönchsberg gerade eine liebevoll gestaltete Ausstellung. Sie reicht von den ersten Annäherungsversuchen zwischen Reinhardt und Zweig über die Auslotung einer Aufgabe für den Autor bis hin zu den brutalen Versuchen der Nazis ab 1933, den Festspielen, die sich immer mehr als ein Anti-Bayreuth etablierten, den Garaus zu machen. Kuratiert wurde die Schau von Marcel Atze von der Wien-Bibliothek, der dort die 40 Schachteln mit dem Nachlass von Max Reinhardt durchforstet hat und dazu spektakuläre Fotos und Dokumente aus dem Salzburger Festspielarchiv präsentieren kann. Es ist ein besonderes Erlebnis, von Marcel Atze selbst durch das Zweig-Zentrum geführt zu werden.

Irgendwie klappte es anfangs nicht so recht mit der Zusammenarbeit zwischen Max Reinhardt und Stefan Zweig. Man schrieb sich formvollendet höfliche Briefe, Reinhardt bevorzugte Telegramme, sie sind oft seitenlang und müssen damals eine Menge Geld gekostet haben. Aber das Ergebnis war dürftig, die Beziehung angespannt. Trotzdem wurde Zweig nicht müde, den bewunderten Theatermann für gemeinsame Projekte zu interessieren, aber heraus kamen nur leere Versprechungen. Nicht einmal ein Imbiss im Wiener Hotel Meissl & Schaden brachte den Durchbruch. Doch die beiden blieben einander gewogen. Folgerichtig steht Zweig im ebenfalls ausgestellten Adressbuch von Reinhardt bei „Z“ zwischen Zuckerkandl und Zifferer.

Doch Zweigs Distanz zu den Festspielen weichte sich 1933 völlig auf. Die Welt war durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten eine andere geworden. Zweig blieb nun während der Aufführungen in Salzburg, wie die Zeitungsberichte zeigen. Er unterstützte vorbehaltlos alle Anstrengungen, aus den Festspielen ein Symbol kultureller und staatlicher Selbstständigkeit Österreichs zu formen. Die legendäre „Faust“-Inszenierung von Reinhardt 1933 besuchte er gleich zwei Mal, erfahren wir aus seinem Briefwechsel mit Margarete Wallmann, die damals untröstlich war: Sie hatte die Tanzszenen der „Walpurgisnacht“ in der offenen Felsenreitschule einstudiert, und die fielen wegen des Dauerregens fast bei allen Aufführungen buchstäblich ins Wasser. Nur eine Aufführung, die letzte am 31. August 1933, bot schönes Wetter. Zum 60. Geburtstag von Max Reinhardt verfasste Stefan Zweig 1933 einen schriftlichen Gruß, eine Laudatio.

Immun gegen den Nationalsozialismus

Wie Atze diese „Faust“-Inszenierung in den zeitgeschichtlichen Kontext stellt, ist einer der spannendsten Momente der Ausstellung. Hier werden Zweig und Reinhardt im Fokus der ideologischen Auseinandersetzung zwischen dem Dollfuß-Schuschnigg-Regime und dem NS-Staat gezeigt. Das berühmteste Theaterstück der deutschen Literatur, der „Faust“, der als das „deutscheste Stück“ galt, steht hier im Mittelpunkt. Dem bewundernswert standfesten Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl war es zu verdanken, dass das Programm der Festspiele gegen das antisemitisch-rassistisch geprägte Kulturverständnis des Nationalsozialismus weitgehend immun blieb. Er hielt eine erstaunliche Rundfunkrede am 17. August 1933, dem Tag vor der Uraufführung des „Faust“. Er verortete hier die Aufführung als zentrales Element im Kampf für die Selbstbehauptung Österreichs. Das ausgestellte Originalmanuskript der Rede zeigt, dass sie ursprünglich noch schärfere Formulierungen enthielt. 1937 musste Rehrl dann die rhetorische Konfrontation zurücknehmen: Er empfing bei den Festspielen den aus Wien angereisten deutschen Botschafter Franz von Papen. Was er dabei empfunden hat, können wir nur ahnen.

Max Reinhardt war 1933 gerade im Begriff, sein Berliner Theaterimperium aufgeben zu müssen (Reinhardt besaß damals durch seinen Vater eine tschechoslowakische Staatsbürgerschaft). Er schrieb deswegen an einige Nazi-Größen Briefe, der an Joseph Goebbels ist ausgestellt. Er verwies hier auf seine Verdienste um die Präsentation deutscher Kultur auf den Bühnen, doch den Status eines „Edelariers“ erreichte er nicht. Dafür wurde er von der österreichischen Ständestaatregierung mit Ehrungen überhäuft. Er erhielt hohe staatliche Orden, die er auch stolz trug. Sein „Faust“ blieb bis 1937 auf dem Programm der Festspiele. Da hatte Stefan Zweig das Land längst verlassen, er hatte Salzburg nach einer Hausdurchsuchung im Bürgerkriegsmonat 1934 den Rücken gekehrt. Reinhardt, der wüsten antisemitischen Beschimpfungen der österreichischen Nationalsozialisten (etwa in der Wiener Ausgabe des „Stürmers“) ausgesetzt war, reiste im Oktober 1937 in die USA, von wo er nicht mehr zurückkehrte. Zuvor hatten besonders viele prominente Besucher den „Faust“ gesehen: Als ob sie geahnt hätten, dass es die letzte Gelegenheit war.

Ausstellung

Stefan Zweig und Max Reinhardts
„Faust“ im Kontext
Stefan Zweig und Max Reinhardt inmitten einer zwischen dem Dollfuß-Schuschnigg-Regime und dem NS-Staat geführten ideologischen Auseinandersetzung.

Stefan-Zweig-Zentrum Salzburg, Mönchsberg 2,

20. Juli bis 31. August 2023,

Montag bis Freitag, 10–18 Uhr


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