Vor 20 Jahren: Ein Messerstich auf dem Center-Court

Jahren Messerstich CenterCourt
Jahren Messerstich CenterCourtAPA/EPA/ARD/NDR
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Am 30. April 1993 stach ein Deutscher in Hamburg auf Tennisstar Monica Seles ein. Ihre Narben sind verheilt, doch 20 Jahre später sind Sicherheitsfragen akuter denn je.

Wien. Durch das Bombenattentat in Boston ist das Thema Sicherheit bei Sportveranstaltungen wieder in den Vordergrund gerückt. Bei Olympia, Fußball-WM oder -EM sind Vorkehrungen seit dem Anschlag von München 1972 massiv. Polizei, Militär und tausende private Securityangestellte sind im Einsatz. Nun erwägen Leichtathletik-Veranstaltungen weltweit, höhere Standards zu setzen, um Teilnehmer und Besucher besser zu schützen. Kontrollen wie auf Flughäfen sind längst keine Illusion mehr, wenn man in Amerika eine Sportarena betritt. Ähnliche Vorgangsweisen findet man auch in Europa. Selbst bei der ab 3.Mai in Stockholm und Helsinki anhebenden Eishockey-WM wird „scharf“ an den Einlässen kontrolliert.

Es sind Sofortmaßnahmen nach einem Vorfall, der die Sportwelt aufrüttelt. Als Besucher hat man sich an Kontrollen längst gewöhnt. Aber es gab Zeiten, in denen das schlichtweg als nicht notwendig angesehen wurde. Da es keine konkreten Bedrohungen gab oder Vorfälle wie in Boston jegliche Vorstellungskraft übertrafen.

Ein 23 Zentimeter langes Messer

So war es auch am 30. April 1993 beim Tennisturnier auf dem Hamburger Rothenbaum. Damals wurde die Weltranglistenerste Monica Seles Opfer eines heimtückischen Attentats. Die Serbin mit ungarischen Wurzeln spielte auf dem Center-Court gegen die Bulgarin Magdalena Maleewa. Die 19-Jährige überzeugte, sie ließ jedem ihrer Schläge ihr markant lautes Stöhnen folgen. Sie führte 6:4 und 4:3. In der Pause geschah das Unvorstellbare: Um 18.50 Uhr pirschte sich der arbeitslose Günter Parche aus Görsbach an die mit dem Rücken zum Publikum sitzende Seles und stach ihr mit einem Tranchiermesser in den Rücken.

Auf diese Gelegenheit hatte der 38-Jährige, der es nicht ertragen konnte, dass Seles Steffi Graf als Nummer eins der Welt abgelöst hatte, lange gewartet. „Sie ist eine einzigartige Frau. Ihre Augen glänzen wie Diamanten“, gab der Täter später über Graf zu Protokoll. Er hasste Seles, streckte sich über die Abgrenzung und rammte der Tennisspielerin sein Messer in den Rücken. Nur wenige Tatsachen und viel Glück retteten dem Star das Leben: Die 23 Zentimeter lange Klinge drang nicht sehr tief ein.

Parches Tranchiermesser war nicht als Stichwaffe geeignet. Und da der Schiedsrichter soeben das Kommando „Time“ gegeben hatte, befand sich Seles in der Vorwärtsbewegung – sie wollte aufstehen. Den größten Beitrag aber leistete ein freiwilliger Ordner. Manfred Groppel, ein Feuerwehrmann und Tennisfan, nahm den Angreifer sofort in den Schwitzkasten und riss ihn zu Boden.

Leibwächter und Kontrollen

Dieser Frühlingsabend hinterließ einen Schock, der nicht nur Betroffenheit, sondern sofort eine breite Sicherheitsdiskussion auslöste. Dieser „schwarze Freitag“ veränderte Seles' Leben und die Tenniswelt. Seitdem begleiten Leibwächter Spieler bei großen Turnieren auf den Platz. Hinter den Spielerbänken sind ebenfalls Aufpasser positioniert. Es gibt Absperrungen, Polizei ist vor Ort. Oft werden Taschen kontrolliert und diverse Gegenstände konfisziert.

Für Seles begann der Albtraum jedoch erst nach dem Attentat. Sie fiel in Depressionen, litt unter Essstörungen. Auch die deutsche Justiz habe ihr übel mitgespielt, schilderte sie später in ihrer Biografie („Getting a grip“ – „Immer wieder aufstehen“). Denn der Angreifer erhielt nur eine zweijährige bedingte Strafe aufgrund seiner „abnormalen Persönlichkeit“.

Aus körperlicher Sicht hätte sie schnell zu alter Form finden können, erklärten die Ärzte. Die Wunde soll nur zwei Zentimeter tief gewesen sein. Genaueres wurde aber nie bekannt, weil ihre Eltern und Anwälte darüber eine absolute Nachrichtensperre verhängten. Doch die seelischen Narben verheilten nicht. „Ich sah einen Mann mit einem bösartigen, höhnischen Grinsen im Gesicht. In seiner Hand: ein langes Messer! Er hat mir damit Millimeter neben die Wirbelsäule gestochen. Ärzte sagten mir später, wenn ich mich in diesem Moment nicht nach vorne gebeugt hätte, hätte ich gelähmt sein können“, schrieb Seles.

Glücklich in Florida

Wie ihre Karriere ohne den Angriff verlaufen wäre, bleibt für immer ein Mysterium. Nach dem Attentat bestritt sie zwei Jahre lang kein Spiel mehr. Insgesamt gewann Monica Seles 53 Turniere, darunter neun Grand-Slam-Turniere. 2008 beendete sie ihre Karriere wegen chronischer Schmerzen.

In der Gegenwart lebt Seles, der Tennisstar aus Novi Sad, in Florida. Sie trat in TV-Shows wie „Dancing Stars“ auf und engagiert sich in der „Laureus“-Stiftung. Sie hilft auch hungernden Kindern in Afrika. Ihren Peiniger hat sie vergessen, er lebt entmündigt in einem Heim nahe Thüringen. Monica Seles, so scheint es, hat ihren inneren Frieden gefunden. Sie sagt: „Ich denke, all diese Schwierigkeiten haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Ich bin jetzt ein viel glücklicherer Mensch, als ich es vorher war.“

Zur Person

Monica Seles(*am 2. Dezember 1973 in Novi Sad, Jugoslawien) war Nummer eins der Tenniswelt. Die US-Amerikanerin mit serbischen und ungarischen Wurzeln gewann 53 Turniere, davon neun Grand Slams. Ihre Karriere wurde 1993 durch ein Attentat in Hamburg überschattet. Sie lebt in Florida und engagiert sich für diverse Hilfsprojekte. [EPA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2013)

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