Borissow kämpft gegen den Verlust seiner Popularität

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Bei der Parlamentswahl am Sonntag liefern sich Rechtspopulisten des Ex-Premiers und Sozialisten ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Stara zagora. Der frühere Leibwächter überragt seine Bodyguards. Auf der Bühne in der zentralbulgarischen Stadt Stara Zaroga künden drei Sängerinnen in Goldkleidchen die Ankunft des Wahlkampf-Gladiators aus der Hauptstadt an. Doch Bojko Borrisow hat viel Zeit. Hände schüttelnd und Autogramme schreibend bahnt sich der Chef der rechtspopulistischen Gerb-Partei eher gemächlich den Weg zum Rednerpult. Lust für einen Plausch mit Journalisten hat der sorgengeplagte Ex-Premier jedoch nicht. Die Demokratie gebe ihm das Recht zu sprechen – oder zu schweigen, kanzelt er lästige Reporter ab.

Zur ungewohnten Einsilbigkeit hat der um seine Popularität bangende Populist allen Grund. Mitten im Wahlkampf macht seiner Partei ein Abhörskandal zu schaffen. Laut Bekenntnissen früherer Gerb-Politiker soll mit Zwetan Zwetanow ausgerechnet der engste Vertraute von Borissow Oppositionspolitiker und Parteifreunde systematisch abhören haben lassen: Der frühere Innenminister und jetzige Gerb-Wahlkampfchef steht im Mittelpunkt von Bulgariens Watergate-Skandal.

Die nach Massenprotesten gegen Armut und überhöhte Stromrechnungen Ende Februar vorzeitig abgetretene Gerb-Regierung habe auf „Furcht, Repression und Abhörung“ gefußt, wettert Sergej Stanischew. Borissow und Zwetanow seien wie „siamesische Zwillinge“, der einzige Unterschied zwischen ihnen sei das ihnen drohende Strafmaß, lästert der Chef der Sozialisten, die sich bei der Parlamentswahl am Sonntag mit Gerb ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern dürfte. Doch es sind weniger die Nadelstiche der Opposition als die Bekenntnisse früherer Würdenträger aus den eigenen Reihen, die das Gerb-Führungsduo zunehmend unter Druck setzen. Sowohl der frühere Agrarminister Miroslaw Najdenow als auch die einstigen Gerb-Abgeordneten Emil Dimitrow und Iwan Petrow werfen Zwetanow nicht nur illegale Abhörpraktiken, sondern auch die Einschüchterung von Medien und Geschäftsleuten vor.

„Wir sind am Ende in Bulgarien“

„Bojko war ein guter Premier – vor allem für die eigene Sippe“, sagt bitter ein bärtiger Florist in Sofia, der seinen Namen nicht nennen mag. Schon 26 Jahre betreibe er sein Geschäft, „doch nie waren die Zeiten so schlecht wie heute, niemand hat mehr Geld für Blumen“, klagt der bärtige Familienvater. „Wir sind am Ende in Bulgarien.“

Auch wenn der Abhörskandal die Berichterstattung über den Wahlkampf völlig überlagert, hält ihn Kolio Kolew, Direktor des Meinungsforschungsinstituts Mediana, nur für die „Spitze“ des Problem-Eisbergs des Landes. Im Zentrum des Stimmenstreits stünden vor allem die Wirtschaftsprobleme des Landes und die zunehmende Verarmung und Arbeitslosigkeit: Er rechne angesichts des Unmuts damit, dass sich der derzeitige Umfragevorsprung von Gerb bei den Wahlen in einen knappen Rückstand auf die BSP kehren dürfte.

Eine mühsame Regierungsbildung scheint ausgemacht. Selbst wenn Gerb die Wahlen gewinnen sollte, seien ihre Koalitionsperspektiven wegen des Abhörskandals am Schwinden. Da auch die Koalitionsoptionen für die BSP begrenzt seien, hält der Meinungsforscher erneute Wahlen nach den vorzeitigen Wahlen für durchaus möglich: „Das wäre sicher die schlechteste Option für das Land.“

Endlich findet der Reigentanz der Trachtenträger in Stara Zagora ein Ende – und hat Borissow das Rednerpult erreicht. Eher lustlos preist er die Errungenschaften seiner Regierung und warnt vor dem drohenden Chaos bei einem Machtwechsel. Keine Viertelstunde währt seine Rede, über eine Stunde sein unermüdlicher Autogrammschreibeinsatz. Borissow habe immer das Image des Mannes aus dem Volke gepflegt, doch der Verfall seiner Popularität mache ihm zu schaffen, kommentiert Kolew: „Nun gilt er nicht mehr als Anwalt des einfachen Mannes, sondern als ganz normaler Politiker.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2013)

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